Protokoll des 28. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 25. Juni 1983

 

Hubert Cancik, Hubert Mohr (Philologisches Seminar)

Erschließung einer Lehr-Dia-Sammlung durch EDV

1. Projektvorstellung

Das Philologische Seminar Tübingen baut eine Sammlung von Diapositiven (Dias) auf, deren Erfassung und Katalogisierung mit EDV geschieht. Bis jetzt wurden ca. 1200 Dias aufgenommen; geplant ist ein Umfang von ca. 3000 Dias. Die Sammlung ist auf einen repräsentativen Querschnitt des Materials zur klassischen Antike hin angelegt, repräsentativ in zeitlicher (Gesamtzeitraum der griechisch-römischen Antike), räumlicher (Mittelmeerraum und angrenzende Gebiete) und sachlicher Hinsicht (Kunst, Topographie und materielle Kultur gleichrangig). Der Zugang zum Material erfolgt über ausgedruckte Listen, die den Benutzern zur Verfügung stehen. Die Listen verbinden eine relativ ausführliche Beschreibung des Bildinhalts mit der Möglichkeit eines nach Sachthemen differenzierten Zugriffs, wobei die Handhabbarkeit und nicht die wissenschaftliche Vollständigkeit der Beschreibung im Vordergrund stehen.

Die Sammlung und die Listen dienen den Bedürfnissen der Didaktik (Vorbereitung von Exkursionen, Vorlesungen und Referaten) im Philologischen Seminar, das keinen direkten Zugang zum Diaschrank bieten kann.

2. Arbeitsablauf

Die Sammlung wird zur Zeit von zwei Hilfskräften mit minimaler Stundenzahl betreut. Die eine Hilfskraft ist für photographische Arbeiten und Ausleihe zuständig, die andere für Computerarbeiten.

Um die Aufbereitung zu erleichtern, wurde ein Auftragsblatt entworfen, in das vom Auftraggeber die Grundinformationen über den Bildinhalt einzutragen sind. Die Auftragsblätter bilden die Grundlage der EDV-Erfassung.

3. Programme und Listen

Die einzelnen Dias werden nach folgenden Rubriken aufgenommen:

  1. Akzessionsnummer (Jahr/laufende Nummer)
  2. Ortsname
  3. Aufbewahrungsort bzw. Standort (Museum, "in situ")
  4. Art des Gegenstandes (mit folgenden codierten Kategorien): Topographie, Architektur, Grundriß, Modell, Malerei, Keramik, Gerät, Plastik, Relief, Münzen
  5. Datierung
  6. Bildnachweis
  7. Sekundärliteratur und Verweise
  8. Kurzbeschreibung des Inhalts
  9. Offene Rubrik.
Die Rubriken 7 - 9 sind fakultativ, die Rubriken 2 und 4 verwenden vorgegebene Codierungs-Kürzel: In der Rubrik 4 "Art des Gegenstandes" wird der Benennung des Gegenstandes jeweils eine der vorgegebenen zehn Kategorien als Kürzel vorangestellt. Für die Ortsnamen in Rubrik 2 ist ein festes Raster von Regionen bzw. Provinzen in Kürzelform vorgegeben. Für dieses Raster wurden die römische Provinzialeinteilung bzw. die Augusteischen Regionen innerhalb Italiens zugrunde gelegt. Für Griechenland wurde eine an den historischen Landschaften orientierte Einteilung angewendet. Hit Hilfe dieser Rastereinteilungen lassen sich Listen herstellen, in denen die Dias bzw. ihre Inhalte nach den übergeordneten Kategorien des "Gegenstandes" bzw. der "Regionen" zusammengestellt sind.

Die übrigen Rubriken enthalten weitgehend frei formulierbare Angaben, wobei die Literatur-Nachweise in den Rubriken 6 und 7 nach einem festen Schema erfolgen. Auch die Angaben zur Datierung in Rubrik 5 sind weitgehend normiert, um eine chronologische Sortierung zu ermöglichen. Die frei formulierbaren Rubriken werden durch KWIC-Indices oder durch Register erschlossen.

Die Bearbeitung und Auswertung erfolgt mit dem Programmsystem TUSTEP. Bisher wurden folgende Listen angefertigt, die den Benutzern zur Verfügung stehen:

  1. eine "Akzessionsliste", sortiert nach den Akzessionsnummern in Rubrik 1; diese Liste dient als Grundlage für die Bearbeitung der Diasammlung (Auswertung, aber auch Korrekturen und Ergänzungen); hier sind die für die Datenerfassung verwendeten Kürzel bereits aufgelöst.
  2. eine "Ortsliste", sortiert nach der übergeordneten Region, dann nach dem Ortsnamen.
  3. eine "Liste der Gegenstände", sortiert nach den vorgegebenen Kategorien, dann nach den dargestellten Gegenständen selbst.
  4. eine Liste der dargestellten Gegenstände unter Ausschluß der vorgegebenen Kategorien.
  5. eine "Zeitliste" nach der chronologischen Reihenfolge der Datierung in Rubrik 5.

4. Ausbau- und Kooperationsmöglichkeiten

Die Erfahrungen, die mit dieser kleinen, für Unterrichtszwecke angelegten Sammlung bisher gemacht wurden, sind befriedigend. Größere wissenschaftliche Projekte, wie sie gegenwärtig besonders im Ausland betrieben werden, sind mit unserem geringen, durch die Streichung von Hilfskraftgeldern reduzierten Potential nicht durchführbar. Entsprechende Anfragen aus Italien und Holland konnten deshalb bisher nicht positiv beantwortet werden.
 

Diskussion:

Das vorliegende Projekt hat keine vollständige und umfassende wissenschaftliche Erschließung der Diasammlung zum Ziel. Unschärfen werden bewußt in Kauf genommen. So konnte z.B. eine griechische Vase in der Rubrik 4 unter "Keramik", unter "Gerät" oder unter "Malerei" eingeordnet bzw. gesucht werden. In der Praxis müssen deshalb bei der Zuordnung zu den vorgesehenen Kategorien Schwerpunkte gebildet werden.

Der EDV-Einsatz ist nicht überflüssig, da es sich bei den Benutzern nur selten um ausgebildete Archäologen, Kunsthistoriker usw. handelt, sondern meistens um Studenten, die auch mit geringen Vorkenntnissen eine gewisse Auswahl aus der Sammlung treffen können sollen. Durch einen größeren Aufwand bei der Rubrizierung, bei der Ausfüllung des Auftragsblattes, bei der Datenpflege und bei der Programmierung könnten auch höhere Ansprüche an die Erschließung der Diasammlung gestellt und erfüllt werden.
 

Gustav Ineichen (Seminar für Romanische Philologie, Universität Göttingen),
Hannelore Ott (pagina GmbH, Tübingen)

Romanische Bibliographie:
EDV-gestützte Erstellung, Erschließung und Publikation

1. Allgemeines zur Romanischen Bibliographie

Die Romanische Bibliographie besteht seit 1877, die Dokumentationsstelle in Göttingen seit 1967. Nach dem sprunghaften Anwachsen der Publikationsmenge in den 60er Jahren folgte in den 70er Jahren in Deutschland ein mit EDV-Vorhaben verschiedener Art belasteter Bibliographie-Boom, der 1980 - auch das Bundesministerium für Forschung und Technologie hatte sich 1977 noch eingeschaltet - im Zuge der Finanzkrise zu einem jähen Ende kam.

Für weitere Erörterungen zur Frage der Bibliographie im Romanischen verweisen wir auf die jeweiligen Vorworte in den einzelnen Bänden der Bibliographie. Als kompetenten Kritiker nennen wir Dr. Klaus Schreiber in Stuttgart (vgl. zuletzt: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 29, 1982, 215-220).

2. Vollständigkeit

Wir definieren die Vollständigkeit funktional, und zwar mit der Feststellung, daß eine wissenschaftliche Bibliographie den Zugriff auf ein Objekt zu dokumentieren habe. Entsprechend den Verzeichnissen im jeweiligen Band I enthält die Romanische Bibliographie Aufsätze aus Zeitschriften, Sammelbänden, Kongreßberichten und Festschriften. Dazu gehören auch Personalia und Berichte über Institute. Bücher werden erst dann erfaßt, wenn sie rezensiert werden. Dieses Verfahren setzt ein beträchtliches Vertrauen in das Rezensionswesen voraus.

Die Rezensionen, die unter den einzelnen Einträgen erscheinen, im Rahmen der Erfassung jedoch rund ein Drittel der gesamten Titelmenge umfassen, müssen von Hand zugeordnet werden. Ein technisches Verfahren für die Zuordnung konnte bislang noch nicht entwickelt werden. Die Tatsache, daß die Rezensionen verzeichnet werden, halten wir für eine wichtige Leistung der Romanischen Bibliographie.

3. Umfang und Inhalt

Die inhaltliche Gestaltung der Bibliographie hängt von den jeweiligen besonderen Konzeptionen der Wissenschaft ab. Man hat z.B. die Indogermanistik ausgeschieden, die neuere Angewandte Linguistik, die über eigenständige bibliographische Unternehmungen verfügt, jedoch nicht einbezogen.

Die Literaturwissenschaft des Französischen, die immerhin rund 5000 Titel plus Rezensionen, d.h. ein Drittel der gesamten Bibliographie ausmachen würde, wurde auf Drängen der Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) ausgeschieden, da im Bereich der französischen Literatur durch die ausführliche Dokumentation von Klapp mit Überdokumentation gerechnet werden mußte. Beim Vergleich der beiden Bibliographien wurde auch auf Probleme des Rasters hingewiesen.

4. Systemschlüssel

Als Schlüssel bezeichnen wir eine systematische Auflistung der Positionen der betroffenen Disziplinen. Die Zuordnung der erfaßten Daten zu den entsprechenden Positionen wird als elementare Form einer inhaltlichen Erschließung begriffen. Der Systemschlüssel, der 1968 erstellt wurde, ist den Schwankungen der wissenschaftlichen Erkenntnisinteressen besonders stark ausgesetzt. Der Schlüssel wird für jeden Berichtszeitraum neu angepaßt. Dies geschieht allerdings - im Hinblick auf eventuelles Retrieval - so, daß keine maßgeblichen Positionen verändert werden.

Kritik am Schlüssel war nicht fachlicher Art - er ist mittlerweile auch anderweitig übernommen worden -, sondern betraf die sogenannte Benutzerfreundlichkeit. Wir sind jedoch der Auffassung, daß eine wissenschaftliche Bibliographie Fachkenntnisse voraussetzen muß.

5. Erfassung

Das Erfassungsschema wurde im Verlaufe der Jahre mehrmals geändert, auch wenn die wesentlichen Positionen von der Sache her vorgegeben sind. Doch sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das vom Tübinger Zentrum für Datenverarbeitung entworfene Schema sehr handlich und flexibel ist, im Vergleich zu anderen auch nicht aufwendig.

Das Schema umfaßt sieben Kategorien:

  1. interne Angaben
  2. Zuordnung zum Systemschlüssel
  3. Verfasser (mit Kennzeichnung fürs Register)
  4. Sachtitel
  5. Schlagworte (mit Kennzeichnung fürs Register)
  6. Impressum
  7. Rezensionen
Als Hilfsmittel für die Erfassung dienen ein Handapparat mit annotierten Nachschlagewerken und betriebsinterne Karteien. Trotzdem muß jedes Erfassungsblatt mindestens einmal kontrolliert werden. Die möglichen Fehler sind fachlicher Art oder Strukturfehler. Wir sehen deshalb davon ab, die Erfassung direkt an einem Terminal vorzunehmen, da diese Art der Erfassung zu anfällig gegen sachliche Fehler ist. Die Datenerfassung wird deshalb nach unseren Manuskripten vom Verlag (auf einer Schreibmaschine mit OCR-Kugelkopf) durchgeführt. Ein immer wieder gravierendes Problem in diesem Zusammenhang sind die verschiedenen Fremdsprachen.

6. Personelle Ausstattung

Die Dokumentationsstelle ist ein wenig kostenintensiver Kleinbetrieb. Der Stellenplan umfaßt eine BAT-Stelle mit 25 Wochenstunden, zwei examinierte und eine nichtexaminierte Hilfsassistentenstelle zu je 20 Wochenstunden. Der Max-Niemeyer-Verlag beteiligt sich an der Finanzierung.

7. Zeitlicher Rückstand

Angesichts der stets kritisch und mit planerischem Optimismus debattierten Frage des zeitlichen Rückstandes der Bibliographie auf den jeweiligen Berichtszeitraum macht man zur Zeit eine vollkommen neue Erfahrung. Jetzt, d.h. seit Ende März 1983, wird die Romanische Bibliographie für 1979/80 exzerpiert. Bei diesem geringen Abstand ist es außerordentlich schwierig und administrativ aufwendig geworden, das Datenmaterial zu beschaffen, und dies auch dann, wenn die Universitätsbibliothek Göttingen alle nur wünschenswerte Hilfen gibt.

Die Grunde dafür sind folgende: Viele Periodica sind im Rückstand. Infolge finanzieller Schwierigkeiten entstehen Lücken in den Beständen der Bibliotheken. Die Fernleihe ist oft mühsam, weil die Bibliotheken die ungebundenen Bestände nicht gern herausgeben. Niemand hat daran gedacht, daß in dieser Situation auch die oben genannten Hilfsmittel für die Erfassung (zumal im Falle der modernen Literaturen) nicht mehr aktuell genug sind.

Wir haben stets daran festgehalten, daß vier bis sechs Jahre Abstand eine realistische Größe darstellen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn man sich vornimmt, die Bibliographie in periodischen und einigermaßen kompakten Berichtszeiträumen erscheinen zu lassen. Im Falle der Romanischen Bibliographie bleibt außerdem zu bedenken, daß nicht allein die zentraleuropäische Situation, sondern auch die Bedingungen in Randzonen und in anderen Kontinenten (zumal in Südamerika) ihren Ausschlag geben.

8. Buchbibliographie versus Informationsdienste

Nach dem Gesagten drängt sich abschließend noch ein Wort zur Organisation der Dienste auf, wie sie von seiten der Informationswissenschaften immer wieder gefordert werden. Es scheint jedoch, daß eine Bibliographie in Buchform, die für den Betrieb der Geisteswissenschaften übrigens ausreicht, nicht gleichzeitig mit einem Dienst betrieben werden kann. Abgesehen von einer stärkeren bibliographischen Infrastruktur verlangt ein Dienst vor allem mehr und insbesondere spezialisierteres Personal (Disziplinen bzw. Ressorts der Sprach- und Literaturwissenschaften, Enzyklopädik, Fremdsprachenkenntnisse). Es ist unseres Wissens bislang auch nicht ausgemacht, ob von Benutzerseite Dienste tatsächlich gefordert werden. Sicher scheint allein, daß ausgebaute Dienste in den Geisteswissenschaften zu kostenaufwendig sind. Das Buch erfüllt auch in der Dokumentation immer noch seine Funktion.

9. EDV-Einsatz

Die EDV-Verarbeitung umfaßt nach der Datenerfassung Arbeitsgänge zur Datenprüfung, Korrektur, Auflösung von Kürzeln, Sortierung, Einfügung von Zwischenüberschriften, Register-Erstellung und Lichtsatz-Ausgabe der gesamten Bibliographie. Seit dem Berichtszeitraum 1975/76 wurden, u.a. aus den oben erwähnten Finanzierungsgründen, diese EDV-Arbeiten auf Initiative des Verlages nach Tübingen verlegt und hier mit Hilfe von TUSTEP durchgeführt. Neben einer Vereinfachung im Erfassungs-Schema ergaben sich mit dieser Umstellung weitere wesentliche Vorteile gegenüber der vorherigen Verarbeitung: So ist die Korrektur jetzt viel sicherer und läßt sich rascher durchführen, weil in den EDV-Listen keine Prototypen für Akzentbuchstaben erscheinen, sondern die endgültigen Zeichen. Es sind zwei Korrektur-Stufen vorgesehen: in den Eingabedaten und nach der Sortierung. Für die Zeitschriftentitel, die über einen numerischen Code erfaßt werden, wurde die Sicherheit bei der Erfassung durch die Einführung einer Prüfziffer erhöht. Für den Benutzer am deutlichsten sichtbar ist die Verbesserung der typographischen Gestaltung, die sich z.B. in der Einführung lebender Kolumnentitel zeigt.

 
(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verfügung gestellt.)


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Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 25. September 2002