Aus dem Protokoll des 48. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 10. Februar 1990

 

Aktuelle Informationen:

Forschungsschwerpunkt Wissenschaftliche Textdatenverarbeitung

Der im letzten Kolloquium erwähnte Antrag auf Übergangsfinanzierung für das Jahr 1990 hatte nur teilweise Erfolg: für eine Personalstelle wurden Mittel bereitgestellt. Damit kann wenigstens ein Teil der Mehrarbeit (vor allem für Beratung und Korrespondenz) aufgefangen werden, die der Erfolg der Arbeit während der Förderung des Forschungsschwerpunkts mit sich gebracht hat: An der Universität Tübingen sind neben der Großrechner-Version etwa 150 MS-DOS-Installationen von TUSTEP im Einsatz; dazu kommen TUSTEP-Campuslizenzen an etwa 50 auswärtigen Hochschulen.

Trotz verringertem Personalbestand konnte seither der Leistungsumfang von TUSTEP in einzelnen Bereichen ausgeweitet werden, z.B. durch erhebliche Erweiterung des Schriftenvorrats für den Satz auf der Monotype LASERCOMP. In Arbeit ist die Unterstützung der arabischen Schrift, zunächst als nicht-proportionale (Schreibmaschinen-)Schrift. Außerdem ist eine neue Version von TUSTEP für MS-DOS in Vorbereitung, die auch auf vernetzten Systemen lauffähig sein wird und die die Darstellung nicht-lateinischer Schriften auch auf Bildschirmen erlaubt, die nicht über die Hercules-Plus-Karte angesteuert werden.

 

Stefan Romey (Marburg)

Marburger Inventarisations-, Dokumentations- und Administrationssystem MIDAS:
Erfassung von komplexen Kunstgegenständen mit Perspektiven zur Digitalisierung und Einbindung von Bildern

 

Summary:
Marburg Inventory, Documentation and Administration System MIDAS.
Registration of Complex Art Objects, and a Perspective on Link-connected Digitalized Images

The Bildarchiv Marburg was founded in 1927. MIDAS has been developed since the 1970s to computer-catalogue its several hundred thousand photographic and microfiche reproductions and descriptions of objects of art and cultural history. As a service system, MIDAS provides rules to structure art-historical information; a data-bank HIDA ('Hierarchical Document Administrator'); a thesaurus key to the Marburg Library; the 'Marburg Index' to works of art in German; and an advisory service for the introduction of computer facilities elsewhere in institutions of cultural history. The problematics of registering complex art objects have resulted in the MIDAS ordering system. It is open for the linking of digitalized images - in grey tones or in colour - of the art objects recorded and described.

 

Das Bildarchiv Foto Marburg, es besteht seit 1927, wurde Mitte der siebziger Jahre vor die Aufgabe gestellt, den immer weiter ansteigenden Bestand an Fotografien sinnvoll zu verwalten. Im Marburger Index waren zu diesem Zeitpunkt schon mehrere hunderttausend Fotografien auf Microfiches publiziert worden, und die Benutzer des Index verlangten nach einem umfassenden Katalog. Um diesen Katalog möglichst effizient zu erstellen, wurde mit der Einführung der EDV-unterstützten Katalogisierung begonnen.

MIDAS wurde entwickelt, und mittlerweile sind im Bildarchiv Foto Marburg über 100.000 Dokumente zu Gegenständen der Kunst- und Kulturgeschichte erfaßt; vorrangig handelt es sich hierbei um Graphik und Malerei. Zu diesen Dokumenten wurden die benötigten Seitendateien wie Künstler-, Geographie- oder Ikonographie-Dateien angelegt, um eine möglichst umfassende Erfassung zu gewährleisten.

1. Die verschiedenen Elemente von MIDAS

MIDAS ist somit weder ein Programm noch eine reine Anleitung zur Erstellung von Datenbanken. Es ist ein System, das sich aus folgenden Komponenten zusammensetzt:
  1. das Regelwerk für die Strukturierung und Erfassung kunsthistorischer Informationen.
  2. das Datenbanksystem HIDA. HIDA ist ein Akronym für "HIerarchischer Dokument Administrator".
  3. die maschinell nutzbaren Thesauri, Lexika, Kataloge und Inventare der "Marburger Bibliothek" auf Disketten und Bändern. Sie sind nach den MIDAS-Regeln erstellt und stehen jedem MIDAS-Anwender als Thesaurus von MIDAS zur Verfügung.
  4. der "Marburger Index", der derzeit etwa 500.000 Werke der Kunst in Deutschland in 850.000 Fotografien wiedergibt und ca. 100.000 der Werke durch 30 katalogartige Register auf 180.000 Seiten unter verschiedenen Gesichtspunkten erschließt. Die Daten der Kunstwerke stehen MIDAS-Anwendern zur Verfügung; sie können sie so z.B. als Grundstock ihrer eigenen Datenbank verwenden.
  5. der Beratungsservice, dessen sich kulturgeschichtliche Einrichtungen bedienen können, wenn sie die EDV einführen wollen. Er reicht von der Beratung über die Gerätebeschaffung und -Installation bis zur Erstellung individueller Anwendungsprogramme mit anschließender Betreuung und Wartung.
Diese fünf Komponenten können unabhängig voneinander in Anspruch genommen und vom Anwender nach eigenen Bedürfnissen modifiziert und ausgebaut werden. Intendiert ist jedoch eine übereinstimmende Vorgehensweise möglichst vieler Institutionen, da damit im kulturwissenschaftlichen Bereich neue Wege für den Austausch von Daten und eine verbessserte Zusammenarbeit eröffnet würden.

2. Die Erfassung von komplexen Kunstgegenständen

Bei der Erfassung von Gegenständen aus dem Kulturbereich - und hierzu zählen neben den klassischen Sammlungsgegenständen wie Malerei und Druckgraphik auch solche wie z.B. Maschinen (in Technikmuseen), Musikinstrumente, Filme oder sogar ganze Gebäude und Gebäudeensembles (in Freilichtmuseen oder in der Denkmalpflege) - tauchen Probleme auf, die vor allem durch die komplexe Struktur der Gegenstände gegeben sind.

Auch wenn es bisher keine Software dafür gibt - und in den nächsten 10 Jahren sicherlich auch nicht entwickelt werden wird -, mit der sich alle Informationen in ihren korrekten Beziehungen zueinander lückenlos und ohne Kompromisse erfassen ließen, so soll uns dies nicht davon abhalten, uns jetzt schon Gedanken über eine mögliche Struktur der Daten zu machen.

Ich möchte im folgenden einige dieser Problemfelder skizzieren, um deutlich zu machen, wo bereits bei der Erfassung von relativ durchsichtigen Objekten wie Gemälden oder Skulpturen Schwierigkeiten auftreten und wie sie momentan gelöst werden.

Die materielle Form der Kunstwerke

Es gibt nur wenige Kunstgegenstände, die irgendwo isoliert in einem Museum stehen und sich mit einem Titel bezeichnen lassen. Viele Gegenstände bestehen aus mehreren Teilen, die aus verschiedenen Materialen bestehen. Es besteht nicht einmal der Zwang, daß diese verschiedenen Elemente physisch miteinander verbunden sein müssen. Ein Beispiel wäre hier ein Altar. Für die einzelnen Teile des Altars müssen unterschiedliche Materialangaben möglich sein. So werden im Ciborium Textilien verwendet. Der Altar besteht aus Holz, vielleicht sind aber auch Edelmetalle eingearbeitet worden. Es muß auch zwischen Trägermaterial und Deckmaterial unterschieden werden. Die Tafeln des Altars können mit unterschiedlichen Farben bemalt worden seien oder mit Blattgold belegt sein.

Für eine korrekte ikonographische Beschreibung müssen die möglichen Klappungen berücksichtigt werden. Abgesehen davon, daß jede Tafel ein eigenes ikonographisches Thema haben kann, können auch durch verschiedene Klappungen unterschiedliche Dinge thematisiert werden. Noch dazu hat der Altar mindestens zwei Seiten, was die Beschreibung in einer Datenbank, in der kein Freitext sondern strukturierte Informationen erfaßt werden sollen, nicht gerade vereinfacht.

Ebenso muß es im Bereich des Möglichen liegen, jedem einzelnen Element eine eigene Datierung oder einen anderen Urheber zuzuordnen. Nicht selten wurden Kunstgegenstände in späteren Zeiten korrigiert, erweitert oder auch nur nach persönlichem Geschmack "restauriert". Ein Altar sollte in der Datenbank auch als ein Gegenstand aufgeführt werden, wenn sich z.B. ein Flügel in Köln, ein weiterer in Malibu und der Mittelteil in Nürnberg befinden. Unabhängig vom Aufbewahrungsort der Elemente handelt es sich hierbei für den Kunsthistoriker doch um einen Altar.

Es bietet sich hier an, und der Weg wurde in MIDAS auch gegangen, derartige Sachverhalte durch hierarchisch aufgebaute Dokumente darzustellen. Für die Beschreibung eines Gegenstandes, der als größte Einheit aufgefaßt werden kann, wird ein Dokument verwendet. Diesem Dokument werden in einer Baumstruktur die verschiedenen Teile bzw. Zustände, in die ich den Gegenstand zerlegen kann, als Blöcke untergeordnet.

So wird ein Codex als ein Dokument erfaßt. Auf der zweiten Ebene beschreibe ich dann die Makro-Ordnung des Codex, d.h. ich lege Blöcke für den Einband und die verschiedenen Blätter an. Aber auch Einband und Blätter können weiter zerlegt werden. So werden auf der dritten Ebene Verso- und Rectoseite eines Blattes beschrieben. Eine Seite wiederum kann Text und Miniaturen enthalten, was auf der vierten Ebene erfaßt wird; der Text kann Initialen mit eigener Ikonographie besitzen, die dann dementsprechend auf der fünften Ebene beschrieben werden.

Programmtechnisch gesehen haben wir momentan eine Begrenzung auf fünf mögliche Ebenen, die wir hiermit also auch schon ausgeschöpft hätten. Es können zwar an jeden Block 999 Blöcke auf der untergeordneten Ebene angehängt werden, das ergibt 108 mögliche Blöcke; zur Beschreibung einer Kathedrale als ein Gegenstand reicht dies jedoch bei weitem nicht aus. Allein die Beschreibung des Außenbaus würde sicherlich die möglichen Ebenen erschöpfen, so daß die Beschreibung einer Kathedrale samt Inventar als Gesamtheit nicht möglich ist. Solange die Software den Bedürfnissen einer vollständigen kunsthistorischen Beschreibung nicht gerecht wird, müssen hier wieder Kompromisse geschlossen werden. Der beschriebene Fall könnte so durch eine Mischform von relationaler und hierarchischer Struktur beschrieben werden. Für das Gebäude als Architektur würde ein Dokument mit den dazugehörigen Ebenen verwendet werden, die verschiedenen Teile des Inventars dagegen würden in eigenen Dokumenten beschrieben werden, wobei dann über einen Verbindungsaspekt die Zusammengehörigkeit von Inventar und Baukörper dargestellt wird.

Option von Wiederholgruppen

Unabhängig von der Option, Zusammenhänge über die Verwendung von Baumstrukturen darzustellen, ist es bei der Erfassung kunstgeschichtlicher Informationen notwendig, Aspektgruppen wiederholbar zu gestalten.

An einem Kunstwerk können mehrere Künstler in verschiedenen Funktionen tätig gewesen sein. Dies sind Informationen, die in jedem guten Katalog aufgeführt werden, die also auch in einer Datenbank darstellbar sein müssen.

Wenn zum Beispiel eine Skulptur des 19. Jahrhunderts aus der Berliner Bildhauerschule inventarisiert werden soll, kann es vorkommen, daß für dieses Werk Karl Friedrich Schinkel die Entwürfe geliefert hat, ein unbekannter Rauch-Schüler das Modell geschaffen hat, wahrscheinlich ist es Theodor Kalide oder August Kiss, und der Guß in der Gleiwitzer Eisenhütte produziert wurde. Die Ziselierarbeiten wurden wiederum von August Kiss durchgeführt.

Die hierin vorliegenden Informationen können wie folgt dargestellt werden:

(Schinkel, Karl Friedrich = Entwurf) AND
((Rauch, Christian Daniel (Schule OR Werkstatt)? = Modell) OR
((Kiss, August XOR Kalide, Theodor) = Modell)) AND
(Eisenhütte Gleiwitz = Guß) AND
(Kiss, August = Ziseleur)

In diesem Beispiel wurde darauf verzichtet anzugeben, daß es sich bei der Eisenhütte um eine Werkstatt handelt, die anderen Eigennamen dagegen Personen bezeichnen. In MIDAS ist vorgesehen, zwischen Aspekten für Werkstätten und Einzelpersonen zu unterscheiden. Für Authentizitätsfragen gibt es einen eigenen Aspekt; die Booleschen Operatoren würden durch Delimiterzeichen verschlüsselt werden. Eine Aspektgruppe würde somit aus Aspekten für Künstler und Werkstattnamen, einem Aspekt für die Authentizität und einem für die Funktion am Werk bestehen. Jede Information bekäme so einen zusätzlichen Aspekt, der die Art der Information beschreibt.

Wenn nicht nur am Herstellungsprozeß beteiligte Personen aufgeführt werden sollen, sondern auch jemand, dem dieses Werk gewidmet ist, so müßte noch ein zusätzlicher Aspekt verwendet werden, der die Qualität des Verhältnisses Funktion/Werk beschreibt.

Vermeiden von Redundanzen

Ein weiteres Problem, das sich beim Aufbau einer kulturhistorischen Datenbank stellt, ist das Auftreten von Redundanzen. Sie sollten möglichst vermieden werden, um den benötigten Speicherplatz nicht unnötig aufzublähen. Allein die Marburger Datenbank benötigt mittlerweile ca. 200 Megabyte, also 200 Millionen Zeichen Speicherplatz auf einem PC.

Informationen, die immer gleich bleiben und nicht für jeden neuen Zusammenhang neu beschrieben werden müssen, sollten einmal eindeutig erfaßt werden und dann durch einen eindeutigen Verbindungsaspekt mit der Stelle verbunden werden, an der sie eingefügt werden sollen.

Es wäre so z.B. nicht sehr ökonomisch gehandelt, würde man in jedem Dokument die Informationen zu den daran beteiligten Künstlern erneut erfassen, also in jedem Dokument erneut Geburtsdatum, Geburtsort, Sterbedatum, Sterbeort etc. erfassen. Wenn dafür Sorge getragen wird, daß es einen eindeutigen Verbindungsaspekt gibt, in diesem Fall einen eindeutigen Künstlernamen, der bei Auftreten von mehreren gleichnamigen Künstlern mit einem weiteren Attribut (z.B. einer Jahreszahl) versehen wird, das eine Eindeutigkeit gewährleistet, werden die immer gleichen Daten einmal in einem dafür vorgesehenen Dokument erfaßt (einem Künstler-Dokument) und durch den gleichen Inhalt des Aspektes "Künstlername" miteinander verbunden.

Es empfiehlt sich ebenso, z.B. geographische Angaben, wie die daß Nürnberg in Franken liegt, Franken in einer bestimmten Zeit Bayern, Bayern wiederum zu einer bestimmten Zeit der BRD zuzurechnen ist und diese in Mitteleuropa liegt, einmal zu erfassen und es über eine dementsprechende Datenstruktur zu ermöglichen, daß der Benutzer nach Kunstwerken von bayerischen Künstlern fragen kann und als Ergebnis eine Anzahl von Objekt-Dokumenten erhält, in denen z.B. ein Gemälde auftauchen kann, das sich in Berlin befindet, aber von Albrecht Dürer gemalt wurde. Über den Eintrag "Dürer, Albrecht" im Feld "Künstlername" wird die Verbindung zum Künstlerdokument von Dürer hergestellt, in dem als Sterbeort Nürnberg angegeben ist. In der Geographie-Datei bestehen Dokumente für Nürnberg, die über den identischen Eintrag "Nürnberg" einerseits im Feld "Sterbeort", anderseits im Feld "Ort" miteinander verbunden werden.

In einem der Geographie-Dokumente steht dann noch, daß Nürnberg zu Bayern gehört, so daß das Objekt-Dokument über diese Datei-Struktur gefunden werden könnte.

3. MIDAS-Ordnung

Mit MIDAS ist ein Regel- und Ordnungssystem erstellt worden, welches die verschiedensten Formen des Auftretens kunsthistorischer Informationen berücksichtigt.

Die Ordnung wird durch eine Dezimalklassifikation visualisiert. Zu jedem Bereich werden innerhalb der Datenbank eine oder mehrere Dateien definiert, in denen die jeweiligen Dokumente erfaßt werden. Die Dateien bekommen zusätzlich zu dem Schlüssel der Klassifikation einen Namen, der aus drei Buchstaben besteht, die auf die Datei verweisen.

Ich möchte jetzt nicht die weiteren Dateien im einzelnen besprechen, sondern mich darauf beschränken, einen Überblick über das Klassifikationssystem zu geben:

0 Begriffe

00 Thesaurus-Datei THE

1 Zeitbestimmungen

10 Datierungs-Datei DAT

2 Ortsbestimmungen

20 Geographie-Datei GEO
22 Fund-Datei FUN
24 Ensemble-Datei ENS
26 Bauwerk-Datei BAU
28 Verwalter-Datei VER

3 Künstler und künstlerisch tätige Sozietäten

30 Künstler-Datei KUE
35 Werkstätten-Datei WER

4 sonstige Personen und Sozietäten

40 Personen-Datei PER
45 Sozietäten-Datei SOZ

5 Objekte

50 Objekt-Datei OBJ

6 Inhalte und Zeichen

60 Ikonographie-Datei ICO
62 Emblem-Datei EMB
65 Wappen-Datei WAP
67 Marken- und Stempel-Datei MAR

7 Ereignisse

70 Ereignis-Datei ERE
72 Wettbewerbs-Datei WTT
76 Ausstellungs-Datei AUS

8 Belege

80 Quellen-Datei QUE
82 Literatur-Datei LIT
84 Fotografie-Datei FTO
85 Image-Datei IMG
86 Video-Datei VID
88 Forschungs-Datei FOR

9 Verwaltung und Redaktion

90 Inventar-Datei INV
94 Denkmal-Datei DEN
98 Verweis-Datei VWS
Die Informationen, für die die INV- und DEN-Datei vorgesehen sind, werden jedoch in der Regel in der OBJ-Datei erfaßt.

4. Integration von Images

Bisher wurden in der Datenbank lediglich verbale Informationen erfaßt, die vor allem visuelle und haptische Informationsträger beschreiben. Mit einem fortschreitenden Anwachsen der gesammelten Informationen und den weiterentwickelten Möglichkeiten der EDV mag es nun sinnvoll erscheinen, auch visuelle Informationen als solche zu erfassen.

Digitalisierung von Bildern

Wenn Bilder digitalisiert werden sollen, muß erst einmal klar sein, um was für eine Art von Bildern es sich handelt. Es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Methoden, Bilder, Zeichnungen oder - allgemeiner gesagt - visuelle Informationsträger in einem Computer zu speichern. Für drei- oder mehrdimensionale Gegenstände (wie Filme) wird es z.B. sinnvoll sein, die Informationen, die uns diese Gegenstände vermitteln, nicht als bloßes Abbild, in der Art einer Fotografie, sondern in einer Art zu speichern, die die Mehrdimensionalität berücksichtigt. Für dreidimensionale Gegenstände wie Architekturen werden Vektorgraphiken verwendet. Ein Vektor kann einen Punkt in einem dreidimensionalen Raum beschreiben, d.h. in einer Datenbank würden die drei Koordinaten dieses Punktes gespeichert. Eine Gerade kann durch die Angabe von zwei Vektoren beschrieben werden, eine Fläche dementsprechend dazu durch die Angabe von drei Vektoren.

Zusätzliche Informationen würden dafür benötigt, um anzugeben, ob und wie eine Fläche oder ein Raum gefüllt sein soll.

Im Bildarchiv Foto Marburg werden dagegen - es werden ja auch traditionell Fotos archiviert - zweidimensionale Informationsträger erfaßt. Auch wenn dreidimensionale Gegenstände erfaßt werden, so geschieht dies auf der Grundlage von Fotografien. Zum Digitalisieren von zweidimensionalen Informationsträgern empfiehlt es sich, diese Information als Bitmaps abzuspeichern. Es werden also Bildpunkte einzeln oder, um Speicherplatz zu sparen, Bildpunktmuster gespeichert. In der VGA-Darstellung (Video Graphics Array) sind 256 Farben gleichzeitig auf dem Bildschirm darstellbar. Für jede Farbe ist es möglich, die Magenta-, Cyan- und Grün-Anteile zu bestimmen. Da für jeden Farbanteil wiederum 256 Abstufungen möglich sind, ergeben sich ca. 16 Millionen verschiedene Farben, aus denen für jedes Bild 256 zur Darstellung benutzt werden. Reine Schwarz-Weiß-Bilder können also mit 256 Graufstufen dargestellt werden.

Jedes Bild wird als einzelne Datei gespeichert, sodaß in einem Header in der Datei eine Palettenangabe gemacht wird, in der die einzelnen Farben definiert werden.

Zum Digitalisieren der Bilder können verschiedene Eingabegeräte benutzt werden. Im Workstation '90-Modell, das das Bildarchiv im Rahmen eines IBM-Studienvertrags entwickelt hat, ist in einer Low-Budget-Lösung ein IBM 3117 Scanner vorgesehen. Der IBM 3117 ist mittlerweile vom IBM 3119 abgelöst worden, der eine bessere Auflösung und mehr Graufstufen bietet. Es handelt sich hierbei um einen Flachbettscanner, d.h. die Vorlagen werden, ähnlich wie bei einem Fotokopiergerät, auf eine Glasfläche gelegt und Zeile für Zeile abgetastet. Wenn in der Datenbank die digitalisierten Bilder lediglich zur Illustration verwendet werden sollen, reicht die hiermit erreichbare Qualität sicherlich aus. Die Auflösung der Bilder übertrifft die der meisten Ausgabegeräte.

Will man jedoch im Rahmen von Desktop-Publishing hochwertige Bilder integrieren oder aber auch die Bilder über einen Dia-Belichter vervielfältigen, sollte ein anderes Modell verwendet werden. Im Bildarchiv Foto Marburg wurden testweise Bilder mit einer hochauflösenden Eikonix-Kamera digitalisiert. Auf einem Profi-Bildschirm können hiermit die vollen 16 Millionen Farben (Echtfarb-Bilder) gleichzeitig dargestellt werden. Die Kameras, die ähnlich einer Repro-Kamera an einem Stativ befestigt sind, bieten eine feste Auflösung von 4000 x 5000 Punkten. Der große Vorteil gegenüber einem Flachbettscanner ist der, daß auch Dias digitalisiert werden können, wenn man einen Leuchttisch benutzt. Die Bilder benötigen allerdings bedeutend mehr an Speicherplatz, und es ist fraglich, ob momentan der Nutzen die enormen Kosten und den hohen Arbeitsaufwand rechtfertigen: Für die Handhabung einer solchen Kamera wird ein Fotograph benötigt, das Scannen eines einzelnen Bildes dauert mit Farbkorrektur usw. ca. 5 bis 10 Minuten und die Digitaliser-Station kostet ungefähr soviel wie ein PKW der Oberklasse.

Es kann auch auf die Vielfalt an Graustufen verzichtet werden - im EGA-Modus (Enhanced Graphics Adapter) können nur vier Graustufen dargestellt werden -, dann reduziert sich der Speicherbedarf weiter. Im optimalen Fall ist es so möglich, an die 50 ganzseitige Abbildungen auf einer Diskette zu speichern. Der Aufruf eines Bildes wird gleichzeitig um ein Vielfaches beschleunigt.

Einbindung von Bildern

Die als Dateien gespeicherten Images werden in einer dafür vorgesehenen Datei dokumentiert. Über Aspekte werden die Links von Objekt-Dokumenten zu Bild-Dokumenten gesetzt. Um Speicherplatz während des Programmablaufs zu sparen, wird das Datenbank-Programm als Shell benutzt, um hieraus bei Bedarf ein externes Modul aufzurufen, das die Bilder anzeigt. Da in den Bild-Dokumenten der Typ des Bildes angegeben wird, kann das Shell-Programm entscheiden, welches Programm zur Anzeige der Bilder benutzt werden soll. Somit können bei einer Änderung des Bildtyps, z.B. bei Entwicklung besserer Komprimierungsmethoden, die alten Bilder weiter verwendet werden.

In einer OS/2-Umgebung - größere Datenbanken können unter DOS 3.3 nicht mehr sinnvoll betrieben werden - können so unter dem Presentation-Manager beliebig viele Images, z.B. bei einer größeren Fundmenge eines Retrievals, in Fenstern aufgerufen werden, während ein Fenster für die Textdarstellung mit dem dazugehörigen Dokument offen bleibt. In der DOS-Umgebung können leider nicht - außer bei einem Dual-Monitor-System, wie wir es zur Anzeige der Echtfarbbilder benutzt haben, - Text und Image gleichzeitig dargestellt werden. Über Funktionstasten kann jedoch zwischen Text und Bild hin und her gewechselt werden. Wenn in der DOS-Umgebung mehrere Bilder gleichzeitig dargestellt werden, so werden sie in einem Viertel ihrer normalen Größe angezeigt, sodaß der Benutzer ein Auswahlmenue von 16 Bildern bekommt. Mit dem Cursor oder der Maus kann ein Bild angewählt und ganzseitig angezeigt werden. Sollen mehr als 16 Bilder angezeigt werden, können über Funktionstasten die nächsten oder die vorhergehenden 16 Bilder angezeigt werden. Von jedem Bild aus können Links zu anderen Bildern oder aber zu Textdokumenten gesetzt werden, sodaß eine komplexe Vernetzung möglich ist.

Es ist vorgesehen, in der IMG-Datei ikonographische Angaben in Verbindung mit Koordinatenangaben als Aspektgruppen zu erfassen. Bei Bedarf können so ikonographische Details "gezoomt" werden, d.h. Bildbereiche vergrößert dargestellt werden. Werden Vektorgraphiken, d.h. dreidimensionale Darstellungen, integriert, besteht die Möglichkeit, durch die entsprechende Koordinatenangabe die genaue Position eines Gegenstands, z.B. die eines Kapitells oder eines Glasfensters, im Raum zu bestimmen.


aus: Protokoll des 48. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 10. Februar 1990