Aus dem Protokoll des 59. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 27. November 1993

 

Gerd Brinkhus, Ewa Dubowik-Belka, Friedrich Seck (Tübingen)

Katalogisierung von Inkunabeln an der Universitätsbibliothek Tübingen.
Ein Pilotprojekt der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg

1. Das Projekt im Rahmen der Inkunabelkatalogisierung (Gerd Brinkus)

Handschriften und Drucke wurden bis ins 17. Jahrhundert hinein in Bibliotheken als Informationsträger gleicher Art behandelt. Bücher haben in dieser Zeit allerdings einen sehr individuellen Charakter, der sie als Quellen der Kulturgeschichte aber auch der Landesgeschichte sehr interessant macht. Auch wenn durch den Druck viele identische Exemplare des gleichen Textes hergestellt werden konnten, wurden schon durch den Einband, der in der Regel jeweils vom Käufer bzw. Erstbesitzer in Auftrag gegeben wurde, unterschiedliche Exemplare erzeugt. Durch das Zusammenbinden verschiedener Drucke oder auch Handschriften, durch Marginalien, Rubrizierungen, Ausmalungen, Besitzvermerke, Kaufvermerke usw. entstanden einzigartige Stücke mit einem Informationsgehalt, der weit über den der gedruckten Texte hinausgeht. Die "Archäologie des Buches" oder Kodikologie befaßt sich mit diesem Teil der Buchgeschichte und hat für die Inkunabelforschung ebenso wie für die Handschriftenkunde große Bedeutung.
Für die Katalogisierung von Inkunabeln gibt es verschiedene Stufen:
  1. Die bibliographisch ausführliche Beschreibung der Drucke des 15. Jahrhunderts, wie sie vom Gesamtkatalog der Wiegendrucke geleistet wird, erfolgt für jede Auflage nur einmal. Sie dient der Feststellung und Identifizierung unterschiedlicher Ausgaben und Auflagen und verzeichnet auch die Abweichungen einzelner Teilauflagen.
  2. Die Kurztitelkatalogisierung, bei der nach einer oft vorläufigen Identifikation Standortnachweise/Besitznachweise für verschiedene Exemplare des gleichen Drucks gegeben werden.
  3. Die Beschreibung von Einzelstücken, bei der für den einzelnen Druck eine Kurztitelaufnahme mit exakten bibliographischen Nachweisen (also Hinweisen auf Werke der Stufe 1) die eindeutige Identifikation des Drucks ermöglicht. Diese Druckbeschreibung wird ergänzt durch die Exemplarbeschreibung mit Angaben zu Einband, Vorbesitzer, Ausstattung, Benutzungsspuren (Marginalien usw.) und Überlieferungszusammenhang. Wie bei der Beschreibung von Handschriften stellt diese Form der Inkunabelbeschreibung eine Menge Informationen für die Buch- und Bibliotheksgeschichte, darüber hinaus aber auch für die Landesgeschichte und Kulturgeschichte bereit.
Das Projekt der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg ist der zuletzt genannten Form der Inkunabelbeschreibung gewidmet. Dabei war Erprobung der Nutzung von Fremdleistungen eines der Ziele des Projekts.

Der große Vorteil der Arbeit mit TUSTEP liegt darin, daß bei einer Bearbeitung der Bestände verschiedener Bibliotheken jederzeit automatisch Registerkumulationen erstellt werden können, die diese Quellengattung für die Landes- bzw. Regionalgeschichte überhaupt erst nutzbar machen.

Von Vorteil ist zweitens die Möglichkeit zur Nutzung von Fremdleistungen (z.B. durch Scannen von Katalogen), die durch die Definition der Kategorien in TUSTEP sehr erleichtert wird.

Drittens kann der Datenpool in TUSTEP jederzeit als Datenbank z.B. für Auskunftszwecke genutzt werden.

Viertens ermöglicht es die Bearbeitung mit TUSTEP durch die normierende Wirkung des Kategorienschemas mühelos, unterschiedliche Vorarbeiten zu einer Einheit zusammenzuführen. Dadurch wird es möglich, die Einzelergebnisse eines Teams, z.B. Identifizierung der Drucke (Mitarbeiter A), Einbandbeschreibung (Experte B), Provenienz (Landesgeschichtler C) zu einem einheitlichen Ergebnis zusammenzufassen und unverzüglich über ein Satzprogramm zu veröffentlichen.

2. Die praktische Arbeit (Ewa Dubowik-Belka)

Ausgangspunkt für das Projekt Inkunabelkatalogisierung war das Manuskript von Heribert Hummel, von Thomas Wilhelmi überarbeitet, das die Inkunabeln im Besitz der Diözese Rottenburg-Stuttgart beschrieb.

Die Anlage von Inkunabelkatalogen ist seit Jahren so standardisiert, daß die gleiche Struktur der Beschreibungen sofort erkennbar ist. Aus diesem Grund ist die EDV für die Katalogisierung der Inkunabeln besonders geeignet: Im Grunde katalogisieren nämlich alle nach Kategorien, ohne sie zu nennen. Das Kategorienschema für den "Katalog der Inkunabeln in Bibliotheken der Diözese Rottenburg-Stuttgart" entstand allmählich; die Zahl der Kategorien hat sich während der Arbeit fast verdoppelt, von ursprünglich 15 auf 25 Kategorien; dabei wurden die Kategorien für den Text, für die Register und für die Kommentare, die nicht ausgedruckt werden, berücksichtigt. Für den Titelteil sind folgende Kategorien vorgesehen: Verfasser, Titel; Erscheinungsvermerk, Umfang, bibliographische Nachweise und zusätzliche Informationen (z.B. über die Holzschnitte und Hinweise zur Datierung). Die Namen der Beiträger, Herausgeber, Drucker usw. sind in zusätzlichen Kategorien (teilweise mit Typenkennzeichen) in Registerform wiederholt. Für die Exemplarbeschreibung wurden weitere Kategorien vergeben, nämlich für den Buchblock, für die Provenienz, den Einband, die beigebundenen Drucke, bei Dubletten für die Verweisungen auf den ersten Druck im Band (wo die detaillierte Beschreibung steht) und Signatur. In diesem Teil gibt es ebenso Kategorien für die Register und Konkordanzen, in denen Namen der Vorbesitzer, Buchbinder, Autoren der beigebundenen Drucke in Registerform angegeben werden. Für das Druckerregister wird der Druckort automatisch aus dem Erscheinungsvermerk durch Programm gelesen. Für die Konkordanzen zu anderen Katalogen von Inkunabeln wurden ebenfalls automatisch die Daten aus der Kategorie mit bibliographischen Nachweisen übernommen.

Insgesamt 6 verschiedene Arten der Eintragung sind im vorliegenden Inkunabelkatalog vorgesehen: die Haupteintragung, die Eintragung für einzelne Bände (bei mehrbändigen Ausgaben), für die Dubletten (wo die Titelbeschreibung entfällt), für die Verweisungen, Postinkunabeln (die nur kleingedruckte Beschreibung ohne separate Nummer bekommen) und für die Fragmente (die am Schluß des Katalogs separat sortiert wurden).

Die Register und Konkordanzen verweisen auf laufende Nummern im Katalog bzw. auf die Seite der Einleitung. Das Hauptregister enthält Daten aus mehreren Registerkategorien; je nachdem aus welcher Kategorie sie entstammen, bekommen sie eine Erläuterung, ob es sich um den Verfasser, Herausgeber, Bearbeiter, Drucker, Buchbinder oder Vorbesitzer handelt. Das Register der Drucker und Verleger ist nach Druckorten sortiert. Das Provenienzenregister und das Register der Buchbinder enthalten die Namen aus den entsprechenden Kategorien im Text und zusätzliche Informationen aus separaten Dateien. Darüber hinaus gibt es Konkordanzen zu Nachschlagewerken zur Einbandkunde, zu anderen Inkunabelkatalogen sowie eine Signaturenkonkordanz. Diese ist nach besitzenden Bibliotheken sortiert, enthält aber auch Informationen über den Standort des Druckes.

Die Bearbeitung des Katalogs mit TUSTEP bringt auch kleine Erleichterungen, z.B. Masken mit dem Kategorien-Schema und mit Abkürzungen für bibliographische Nachweise, gespeicherte Redewendungen und Begriffe, die sich ständig wiederholen. Alle gleichartigen Kategorien aus sämtlichen Eintragungen können zusammen redaktionell bearbeitet werden, um die Form zu vereinheitlichen. Darüber hinaus kann man die Datei als Datenpool benutzen, wenn man nach einem Druck sucht und nur ungenaue Informationen hat, was die Benutzerauskunft und die Orientierung über den Bestand ermöglicht. Die Daten kann man auch für die Erstellung von weiteren Katalogen verwenden. Nach Abschluß der Pilotphase werden derzeit zwei Inkunabelkataloge erarbeitet: Der Inkunabelkatalog der Universitätsbibliothek Tübingen und der der Historischen Gymnasialbibliothek Rastatt.

3. Datenformat und Programme (Friedrich Seck)

Auch für diese TUSTEP-Anwendung war der Katalog der Rottenburger Inkunabeln ein Pilotprojekt: nicht daß die Eignung von TUSTEP für derartige Vorhaben noch hätte bewiesen werden müssen, wohl aber in dem Sinn, daß Datenformat und die Programme (d.h. Parametrierungen) anhand dieses Kataloges auch für künftige Kataloge entwickelt wurden. Dabei wiederholte sich die Erfahrung, die ich auch in anderen Projekten machen konnte, daß nämlich am Anfang die Vielfalt der zu berücksichtigenden Fälle nicht überblickt wird. Das Datenformat mußte also mehrmals erweitert werden, die Programme mußten den Erweiterungen angepaßt werden. Ergebnis ist das im vorigen Abschnitt bereits angesprochene Kategorienschema mit 24 Feldern, die teilweise noch durch Indikatoren differenziert werden, wie &01 Anfangsfeld einer Eintragung für den Normalfall (Inkunabel), &01p für Postinkunabel, &01f für Fragment u. ä.

Alle Verarbeitungsprogramme sind in dem Makro INKUN enthalten. Es besteht aus 2249 Programmzeilen, davon sind 744 = 33% Makroanweisungen, 157 = 7% Kommentar, der Rest Programmaufrufe und Parameter. Das Makro kann mit verschiedenen Modi aufgerufen werden, von denen die wichtigsten genannt seien:

Modus = SORTIEREN: Die Eintragungen können in beliebiger Reihenfolge erfaßt werden; sie werden alphabetisch sortiert, wobei die Fragmente ein zweites Alphabet bilden. Dabei wird neu numeriert; Hinweise auf andere Nummern innerhalb des Kataloges werden entsprechend geändert.

Der Modus TEXT umfaßt alle Vorgänge zur Herstellung des Textteils des Kataloges bis zur Ausgabe einer Steuerdatei für den Lichtsatz bzw. zum Herstellen eines Korrekturausdrucks auf dem Laserdrucker, der Modus REGISTER ebenso die Datenaufbereitung der (programmtechnisch gesehen) insgesamt 8 Register aus der Quelldatei bis zum Lichtsatz oder Korrekturausdruck.

Das Ergebnis, ein schöner weinroter Band mit dem Titel

Katalog der Inkunabeln in Bibliotheken der Diözese Rottenburg-Stuttgart / bearb. von Heribert Hummel und Thomas Wilhelmi unter Mitw. von Gerd Brinkhus und Ewa Dubowik-Belka. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1993.
(Inkunabeln in Baden-Württemberg: Bestandskataloge ; 1)
ist ein weiterer Beweis für die Eignung von TUSTEP für Bibliographien und Kataloge.

Für die folgenden Bände der Reihe ist der Modus UEBERNAHME interessant. Hat man eine Konkordanz der Signaturen einer Bibliothek mit den Nummern der Inkunabelbibliographien wie "Gesamtkatalog der Wiegendrucke" oder "Hain", so kann man damit einen Kurzkatalog derjenigen Inkunabeln einer Bibliothek erzeugen, die in den Vorgängerkatalogen (Freiburg, Rottenburg) enthalten sind. Diese Kataloge sind eine nützliche Grundlagen für die Bearbeitung des jeweils nächsten Kataloges, wobei natürlich die Exemplarbeschreibungen, die aus den Vorgängerkatalogen nicht übernommen werden können, ergänzt werden müssen.


aus: Protokoll des 59. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 27. November 1993