Aus dem Protokoll des 82. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 14. Juli 2001

 

Gerd Brinkhus, Friedrich Seck, Ulrike Mehringer (Tübingen)

Der Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken:
Herstellung lokaler Inkunabelkataloge - Schwerpunkt Exemplarbeschreibung - und ihre Zusammenfassung zu einem Internetkatalog


Teil A: Das Projekt (Gerd Brinkhus)

Handschriften und Drucke wurden bis ins 17. Jahrhundert als Informationsträger gleicher Art behandelt. Was zählte, war die Textqualität, die durch ständiges Abschreiben immer stärker mit Fehlern behaftet sein konnte. Auch wenn durch den Druck viele Exemplare des gleichen Textes hergestellt werden konnten, wurden schon durch den Einband, der in der Regel jeweils vom Käufer oder Erstbesitzer in Auftrag gegeben wurde, unterschiedliche Exemplare erzeugt. Durch das Zusammenbinden verschiedener Drucke oder auch Handschriften, durch Marginalien, Rubrizierungen, Ausmalungen, Besitzvermerke, Kaufvermerke usw. entstanden sehr individuelle Exemplare, deren Informationsgehalt weit über den gedruckten Text hinausgeht. Die Kodikologie oder auch Archäologie des Buches befaßt sich mit diesem Teil der Buchgeschichte und hat für die Inkunabelforschung ebenso wie für die Handschriftenkunde große Bedeutung. Um diese Informationen auswerten zu können, ist es nötig, sie für jedes Exemplar der frühen Drucke gesondert zu erfassen.

Nach jüngsten Untersuchungen gibt es etwa 27 000 Inkunabelausgaben (d.h. selbständig erschienene Ausgaben von Texten). Die Auflagen bewegen sich zwischen 100 bis 300 Exemplaren.

Bei der Inkunabelverzeichnung gibt es drei unterschiedliche Zielsetzungen:

  1. Bibliographische Beschreibung: Sie dient dazu, einen Druck so eindeutig zu beschreiben, daß die Exemplare der gleichen Auflage anhand der Beschreibung identifiziert werden können. Die bibliographisch genaue Verzeichnung erfolgt durch den Gesamtkatalog der Wiegendrucke.
  2. Die Kurzbeschreibung, ergänzt durch Hinweise auf die ausführliche bibliographische Beschreibung, ermöglicht den Nachweis von Exemplaren in verschiedenen Sammlungen (Census in München, BSB) und ist auch Grundlage der dritten Form der Verzeichnung.
  3. Die Exemplarbeschreibung, bei der für das jeweils vorliegende Exemplar
    1. die bibliographische Beschreibung verifiziert und durch eine genaue Kollation ergänzt wird,
    2. Abweichungen und Varianten der Ausgabe verzeichnet werden (unter Umständen muß geprüft werden, ob es sich um eine weitere Ausgabe handelt).
    3. Die exemplarspezifische Beschreibung umfaßt die Beschreibung von Rubrizierungen, Initialen, Korrekturen, Ausschmückungen, Ergänzungen, Provenienzangaben, Kaufvermerken und die Einbandbeschreibung.

Wie bei der Handschriftenbeschreibung stellt diese Art der Inkunabelbeschreibung eine Menge Informationen für die Buch- und Bibliotheksgeschichte, darüber hinaus aber auch für die Landesgeschichte und Kulturgeschichte bereit.

Begonnen wurde die Inkunabelkatalogisierung in Baden-Württemberg als Pilotprojekt mit Hilfe der Kulturstiftung Baden-Württemberg. Dabei war zunächst die Erprobung der Nutzung von Fremdleistungen eines der Ziele des Projektes. So wurden die Beschreibungen des Inkunabelkatalogs der UB Freiburg eingescannt und automatisch in das für die TUSTEP -Bearbeitung vorgesehene Kategorienschema umgesetzt. Die Grundlage für eine weitere Bearbeitung bildeten die ca. 3700 Aufnahmen des Freiburger Katalogs.

Auf diesen Grundbestand konnten wir bei der redaktionellen Überarbeitung des Manuskriptes zum Katalog der Inkunabeln der Diözese Rottenburg/Stuttgart zurückgreifen, der 1993 als erster Band der Reihe "Inkunabeln in Baden-Württemberg, Bestandskataloge" erschienen ist.

Parallel zu den Inkunabeln Rottenburger Herkunft wurden die Bestände der UB Tübingen bearbeitet, soweit sich gleiche Ausgaben vorfanden. Die parallele Bearbeitung gleicher Druckausgaben erleichtert und beschleunigt zum Beispiel die Kollation und läßt Abweichungen leichter erkennen. Als nächster kleinerer Bestand wurde der Inkunabelbestand der Historischen Bibliothek in Rastatt bearbeitet, von dem nur ein Katalog des 19. Jahrhunderts existierte. Auch dieser Katalog ist inzwischen im Druck erschienen.

Im Zuge der Bearbeitung zeigte sich zunehmend der Vorteil, in den Dateien zu Provenienzen, Buchbindern, Druckern usw. recherchieren zu können. Die Bestände an Inkunabeln in Baden-Württemberg haben über bestimmte Gebiete gleiche

Mit zunehmender Zahl der bearbeiteten Titel wurden diese Dateien zu reichen Fundgruben und erleichterten die Suche nach Daten zu diesen Aspekten der Beschreibung.

Nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen mit dem Tübinger Pilotprojekt fertigte Thomas Wilhelmi unter Nutzung des Tübinger Inkunabelprogramms und der Tübinger Daten einen Katalog der Greifswalder Inkunabeln an, der ebenfalls bereits im Druck erschienen ist und auch in die Tübinger Bearbeitungsdateien aufgenommen wurde.

Die Inkunabeln des Suso-Gymnasiums in Konstanz wurden von Helmuth von Bohr aufgenommen und von Ewa Belka nach den Prinzipien des Baden-Württembergischen Inkunabelprojektes ergänzt und überarbeitet.

Die UB Heidelberg begann 1997 mit der Beschreibung ihrer Inkunabeln nach den Vorgaben des Projektes und übernahm auch die Beschreibung der Inkunabeln der UB Mannheim.

Schließlich wurden auch die beiden Landesbibliotheken in Karlsruhe und Stuttgart von der Stiftung Kulturgut gefördert und konnten mit der Beschreibung ihrer Inkunabeln beginnen.

Das Projekt wurde nun auf eine breitere Basis gestellt, die Zugänglichkeit der Dateien auch für Benutzer und die Inkunabelforschung wurde auf Wunsch der Projektteilnehmer möglich gemacht. Neue Teilnehmer, die von den Daten profitieren wollten, aber auch ihre Daten im Projekt zur Verfügung stellten, kamen hinzu, so daß inzwischen (seit Februar 2001) INKA, ein Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken, entstanden ist.

Eine Bereicherung stellen ebenfalls die zusätzlich eingebrachten Katalogisate des Gutenberg-Museums Mainz und der Stadtbibliothek Nürnberg dar.

Hier wurde erstmals ein etwas anderer Weg beschritten. Die in der Bayerischen Staatsbibliothek angesiedelte Arbeitsstelle Inkunabelcensus ist bemüht, die Exemplare von Inkunabeln in Deutschen Bibliotheken nachzuweisen. Sie arbeitet dabei mit den Daten des ISTC (Incunabula Short Title Catalogue) der British Library. Jede Bibliothek, die am Census mitarbeitet, kann eine Liste ihrer Inkunabeln unter Angabe der Hain- oder GW-Nummern einreichen und erhält dann die ISTC-Daten in maschinenlesbarer Form. Die ISTC-Daten lassen sich in TUSTEP-Daten umwandeln und in den Online-Katalog integrieren. So wurden zunächst versuchsweise die Daten der Stadtbibliothek Mainz in den Katalog eingearbeitet. Sie gelten als vorläufige Aufnahmen, da sie im Zuge der Exemplarbeschreibungen noch überprüft werden (ob z.B. die Hain- oder GW-Nummer richtig ist), die Kollation des Exemplars wird ergänzt und die Exemplarbeschreibung mit Angaben zu Einband, Provenienz usw. angefügt. Die vollständige Aufnahme wird schließlich gegen die vorläufige ISTC Aufnahme ausgetauscht.

Der Vorteil dieses Verfahrens ist, daß von Anfang an ein Nachweisinstrument für die vorhandenen Inkunabeln zur Verfügung steht, das aber durchaus noch fehlerhaft sein kann. Mit Fortschreiten der Arbeit wird der Katalog dann immer besser und die Benutzer können von Anfang an von dem Fortschreiten der Arbeit profitieren. Ziel der Arbeit werden aber auch weiterhin gedruckte Bestandskataloge sein.

Teil B: Datenformat und Programm (Friedrich Seck)

1. Datenformat

Zu Beginn der Arbeit am ersten mit TUSTEP hergestellten Inkunabelkatalog (Diözese Rottenburg-Stuttgart) wurde der Freiburger Katalog als Quelle für die bibliographischen Beschreibungen gescannt. Um die so gewonnenen Daten zu strukturieren, wurde ein hauptsächlich an typographischen Kriterien orientiertes zweistellig-numerisches Kategorienschema entworfen, das, um Felder für normierte Registerformen erweitert, auch zur Bearbeitung der gedruckten Kataloge benutzt wurde, sich aber für den Internet-Katalog als zu undifferenziert erwies. Es umfaßt derzeit 33 Felder. Eine ausführliche Programmbeschreibung kann über die Beschreibung im Internet-Katalog (Adresse s. Teil C) abgerufen werden.

2. Dateien

Die jeweiligen lokalen Daten werden in drei Dateien gehalten: der Hauptdatei mit den Beschreibungen der Inkunabeln und zwei Nebendateien mit ergänzenden (z.B. biographischen) Angaben zu Provenienzen und Buchbindern, die in die Register der Druckausgaben übernommen werden.

3. Programm

Alle Programme zur Vorbereitung und Herstellung der Inkunabelkataloge (mit Ausnahme des Internet-Katalogs) sind in dem Kommandomakro INKA zusammengefaßt. Gezeigt wurden 6 der 23 Modi:

Teil C: INKA - Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken (Ulrike Mehringer)

Der Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken ist erreichbar über die Homepage der UB http://www.uni-tuebingen.de/ub, Unterpunkt Kataloge, oder direkt unter http://www.uni-tuebingen.de/ub/kata/inkun.htm

1. Inhalt

INKA ist in erster Linie Arbeitsinstrument der am Projekt "Inkunabeln in Baden-Württemberg" mitwirkenden Bibliotheken und enthält die Daten, die im Laufe der Projektarbeit mit TUSTEP erfaßt und aufbereitet wurden und z.T. schon zu gedruckten Katalogen (im Verlag Harrassowitz) geführt haben.

Bei der Übernahme der Titelaufnahmen des Freiburger Inkunabelkataloges nach dem Scannen konnten leider die Freiburger Daten zur Einbandbeschreibung und die Provenienzen nicht integriert werden. Der Katalog der Greifswalder Inkunabeln wurde in den Onlinekatalog aufgenommen, weil die Daten ebenfalls mit TUSTEP bearbeitet worden sind und eine Reihe von Titelaufnahmen ergänzend zu den süddeutschen Beständen zur Verfügung gestellt werden kann.

In INKA sind Inkunabeln, Postinkunabeln (sofern in einer Inkunabelbibliographie nachgewiesen), Fragmente und auch Verluste verzeichnet.

Eine Vorgängerversion von INKA wird seit Oktober 2000 im Internet angeboten; seitdem konnte der Katalog zusätzlich um die Titelaufnahmen des Gutenberg-Museums Mainz und der Stadtbibliothek Nürnberg bereichert werden.

Den größten Bestand hat derzeit die Württembergische Landesbibliothek (WLB) Stuttgart mit 5.286 Einträgen, insgesamt sind knapp über 20.000 Einträge enthalten. Die Daten werden im Abstand von ca. 1-3 Monaten aktualisiert.

2. Suchmaske und Trefferanzeige

Eine Besonderheit des Inkunabelprojektes ist die Erfassung der oft aufwendig zu ermittelnden Exemplardaten. Dieser Besonderheit wird auch in der Suchmaske Rechnung getragen.

Außer den üblichen Suchfeldern Titel und Person (bei letzterem kann zusätzlich nach der Funktion differenziert werden) gibt es auch solche für den bibliographischen Nachweis und für die Exemplardaten.

In dem Suchfeld "Bibliographischer Nachweis" kann eine Inkunabel anhand ihrer Nummer in einer Inkunabelbibliographie ausfindig gemacht werden. Bei Inkunabelbibliographien, die nicht in der Auswahlliste aufgeführt werden, kann alternativ eine String-Suche im Freitext-Feld durchgeführt werden; der Suchbegriff wird dazu in Anführungszeichen gesetzt (z.B. "IBP 19"). Eine Stringsuche ist außer im Feld "Freitext" auch im Feld "Titel" möglich.

Die Exemplardaten einer Inkunabel sind über die Felder "Buchbinder", "Provenienz", "Signatur" und "Kyriss, Haebler" recherchierbar. Gleiche Drucke unterscheiden sich durch Einbände und Vorbesitzer, so daß letztendlich jede Inkunabel ein Unikum ist. Kyriss und Haebler sind Standardwerke zur Identifizierung von Einbänden; Inkunabeln, die dort verzeichnet sind, können über ihre Nummer ausfindig gemacht werden. In den Katalogen UB Freiburg, Gutenberg-Museum Mainz und StB Nürnberg sind noch keine Exemplardaten enthalten; in den Testdaten der BSB München sind die Exemplardaten nur über die Freitextsuche zu recherchieren.

Für die Bearbeiter in den Bibliotheken gibt es außerdem eine spezielle Suchmaske zur Abfrage nach (bei bereits erschienenen Verzeichnissen endgültigen, sonst vorläufigen) Katalognummern, so daß einzelne Titel schnell aufgerufen werden können. Auch die Angabe mehrerer Nummern ist möglich; dadurch können Titel untereinander angezeigt werden, die normalerweise in der Trefferliste nicht aufeinander folgen. Es kann auch eine Recherche nach Typenkennzeichen der Eintragungen durchgeführt werden, um sich z.B. alle Postinkunabeln oder alle Fragmente einer Bibliothek anzeigen zu lassen.

Die Ausgabe erfolgt in Seiten zu je 20 Titeln; die Suche wird bei 5000 Treffern abgebrochen. Auf angebundene Inkunabeln wird i.d. R. verwiesen, und zwar auf die laufende Nummer im Katalog der Bibliothek. Die Nummern sind in der Ergebnisanzeige anklickbar und führen zum entsprechenden Titel. Da sich die meisten Kataloge noch in Bearbeitung befinden, verändern sich diese Nummern häufig und sind deshalb nicht zitierfähig.

Im Erfassungsformat ist eine Kategorie für die Erfassung von URLs digitalisierter Abbildungen vorgesehen. Die Angaben in dieser Kategorie werden in der Ergebnisanzeige zum Hyperlink.

3. Programm und Datenformat

Beim Abschicken der Suchmaske wird ein CGI-Skript aufgerufen, das anders als gewöhnlich nicht die Suchroutinen enthält. In dem CGI-Skript werden notwendige Umgebungsvariablen definiert, z.B. Pfad des auszuführenden Makros, der TUSTEP-Programmdateien usw.

Über das CGI-Skript wird TUSTEP aufgerufen, das das Makro für die Suche in den Daten ausführt und das Ergebnis zurückliefert. Das Makro befindet sich als Segment in der Datei TUSTEP.INI.

Die Daten der einzelnen Bibliotheken werden zunächst in einer Sammeldatei zusammengeführt. Diese Sammeldatei wird dann mit einem eigenen Modus des Makros INKA für den Onlinekatalog aufbereitet. TUSTEP-Codes werden in HTML-Codierungen umgewandelt, und das Kategorienformat wird den Anforderungen der Recherche angepaßt.

In jeder Titelaufnahme wird eine Kategorie mit einem Bibliothekskennzeichen belegt. Einige Kategorien aus dem Erfassungsformat müssen in mehrere Recherchekategorien aufgeteilt werden, so z.B. der Erscheinungsvermerk. Erscheinungsort, Verlag und Jahr stehen bei der Erfassung gemeinsam in einer Kategorie. Für die Recherche ist es jedoch günstiger, daß jede Angabe in einer eigenen Kategorie enthalten ist. Ähnlich verhält es sich bei Personennamen. Jede Person soll für die Recherche in einer eigenen Kategorie stehen, die mit einem Typenkennzeichen für die Funktion der Person versehen ist, um eine Unterscheidung zu ermöglichen.

Das Aufteilen eines Formats in mehr Felder hat den Vorteil, daß verschiedene Elemente eindeutig gekennzeichnet sind und die Unterscheidung nicht mittels Interpunktion (bibliothekarisch: Deskriptionszeichen) stattfinden muß (die in hohem Maße von der Einheitlichkeit der Erfassung abhängig ist).

Die Daten der Sammeldatei werden außerdem auf syntaktische Fehler geprüft. Dies können z.B. verbliebene Restcodes oder das mehrfache Vorhandensein der gleichen Kategorie sein. Dies geschieht, um ein Abstürzen des Programms aufgrund fehlerhafter Daten zu vermeiden.


aus: Protokoll des 82. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 14. Juli 2001