Klaus und Renate Birkenhauer
Einsatz eines Microcomputers für computerunterstützte
Übersetzung und Dokumentation (mit Demonstration am Wang 5-3)
1. Der organisatorische Rahmen
In Straelen am Niederrhein entsteht seit 1978 das
"Europäische Übersetzerkollegium" mit Räumen für Übersetzer,
einer großen Fachbibliothek und einer EDV-Anlage zur
Dokumentation. Hier können Übersetzer während ihrer Arbeit
mit Kollegen aus anderen Ländern wohnen, sich gegenseitig
weiterhelfen oder ein größeres literarisches oder
wissenschaftliches Werk im Team übersetzen. Ein
Textverarbeitungssystem, das mit der Zeit weiter ausgebaut
wird, soll sie bei der Übersetzungsarbeit unterstützen, aber
auch die "Nebenprodukte" dieser Arbeit sammeln und anderen
Übersetzern sowie Lexikographen zugänglich machen; dazu gehören z.B.:
- Glossare, die während der Arbeit entstanden;
- Versuche, eine Terminologie in einem Fachgebiet zu prägen,
wo sie bisher uneinheitlich oder lückenhaft war;
- und vor allem neue Übersetzungsvarianten und
Wortprägungen, die noch kein Wörterbuch verzeichnet und die
zusammen mit ihrem Kontext und den Anmerkungen des
Übersetzers gespeichert werden.
Für diese Aufgaben lassen sich schon die
Möglichkeiten der kleineren elektronischen Textverarbeitungsgeräte nutzen, wie
sie heute vielfach auf dem Büromarkt (allerdings speziell
auf dessen Bedürfnisse ausgerichtet) entwickelt werden.
Dort bieten die Hersteller neben der äußerst bequemen
Datenerfassung auch Programmpakete an, z.B. für
Buchführung oder Serienbriefe. Für die Bedürfnisse einer so kleinen
Zielgruppe, wie es die Übersetzer sind, gibt es allerdings
noch keine Software. Deshalb schien es sinnvoll, zunächst
einen Katalog ihrer übersetzerischen Arbeitsprobleme
zusammenzustellen und sich dann unter jenen Maschinen
umzusehen, die zusätzliche Möglichkeiten für die
Anwenderprogrammierung besitzen.
2. Typische Arbeitsprobleme des Übersetzers
- Die reine Schreibarbeit
Ein freiberuflicher Buchübersetzer muß, um seinen Lebensunterhalt
bestreiten zu können, pro Tag im Jahr mindestens fünf Seiten
druckfertig übersetzen. Verzögert sich diese Arbeit durch
terminologische Schwierigkeiten oder durch Recherchen, wird der
Zeitdruck noch stärker. Einen großen Teil dieser Zeit nimmt
allein das Tippen der diversen Textfassungen von der
Rohübersetzung bis zur endgültigen Reinschrift in Anspruch.
- Terminologische Schwierigkeiten
Anders als bei Fachübersetzern, die für
Übersetzungsdienste arbeiten, sind
die Texte der "Buchübersetzer" weniger spezialisiert und
breiter gefächert. Die üblichen technischen Wörterbücher
helfen oft nicht weiter, weil sie nur das eigentliche
"harte" Fachwort enthalten, aber nicht die vielen Wendungen,
die auch noch zu seinem Umkreis gehören. Und vor allem
werden die Übersetzer von ihren Lexikographen dort im Stich
gelassen, wo es in einem aktuellen Buch um den allerneuesten
Sprachgebrauch geht.
Sie erarbeiten sich also oft gerade solche Gebiete ihrer
Muttersprache, die nicht oder nur zu einem geringen Teil im
Blickfeld des Lexikographen liegen. Aber in den meisten
Fällen stehen sie so unter Zeitdruck, daß sie diese
wichtigen Nebenergebnisse einer Übersetzung nicht gezielt
bewahren, geschweige denn anderen Kollegen zugänglich machen können.
- Die eigene Sprachkompetenz
Die Kenntnis der Fremdsprache ist Voraussetzung. Aber was
sehr oft nicht bedacht wird, ist die überdurchschnittliche
Beherrschung der Muttersprache: Hier sollte der Übersetzer
über möglichst viele Register verfügen und sich in allen
Sprachschichten bewegen können, von den etablierten bis zu
denen der Randgruppen. Oft muß er in seiner eigenen Sprache
Äquivalente nicht nur für Zusammenhänge aus dem fremden
Kulturbereich finden, sondern auch für grammatische
Strukturen, über die seine Muttersprache
nicht verfügt. Auch diese Arbeitserfahrungen gehen
normalerweise unter.
- Stilistische Richtigkeit und Konkordanz der stilistischen
Maßnahmen
Manchmal gelingt es erst nach mehreren Umstellungen
innerhalb des Satzes, den Rhythmus der Vorstellungen und die
Aufmerksamkeitsführung des Originalsatzes endgültig
nachzubilden. Fragen der Sprachebene, der Auffälligkeit oder
Geläufigkeit eines Ausdrucks müssen im Kontext und manchmal
gegen die Wörterbuch-Richtigkeit entschieden werden. Oft
merkt der Übersetzer erst während der Arbeit, daß ein
Ausdruck Signalcharakter annimmt und daß er ihn von Anfang
an hätte anders übersetzen müssen. Dann beginnt die Mühe des
Suchens und Blätterns.
Wenn also in individuellen Übersetzungslösungen tatsächlich
etwas entstanden ist, das man in ein gutes, umfassendes
Wörterbuch aufnehmen könnte, dann nicht wegen seiner
inhaltlichen Kongruenz, sondern weil es auch stilistisch,
auch in Übereinstimmung mit anderen Textfaktoren und dem
Rhythmus der Vorstellungen äquivalent ist - und das zeigt
nur die Entstehungsgeschichte einer Übersetzungslösung, die
es in vielen Fällen zu dokumentieren lohnt. Sie belegt
nicht nur die individuelle Arbeitstechnik des Übersetzers.
Seine diversen Annäherungsversuche machen den Stilwillen
des Autors oft erst richtig bewußt, dessen
gewissenhaftester und professionellster Leser der literarische Übersetzer ist.
3. Die Arbeit am Bildschirm
- Textbearbeitung
Ein zur Textverarbeitung eingesetzter Microcomputer erlaubt
zunächst einmal eine wesentlich schnellere Eingabe und
Bearbeitung des Textes. Am Bildschirm sind Korrekturvorgänge
wie Übertippen, Wegstreichen, Einfügen oder Umstellen
unproblematisch. Die Maschine faßt den Text als einen
einzigen string auf, der nur physikalisch begrenzt ist. Sie
kann daher nach jedem Einfügen oder Tilgen den nachfolgenden
Text sofort wieder aufschließen und neu zu Zeilen ordnen,
so daß auf dem Bildschirm jedesmal eine makellose Seite
erscheint. Darüber hinaus kann man den Text beliebig
umformatieren und über ein interaktives
Silbentrennungsprogramm zum Blocksatz ausschließen. Den
endgültigen Ausdruck des auf Disketten gespeicherten Textes
besorgt der Typenraddrucker. (Da solche Microcomputer auch
einen Anschluß für Datenfernübertragung besitzen, kann der
elektronisch gespeicherte Text über Umkodierungsprogramme
sogar in einen Satzrechner eingegeben werden, der ihn zu
kompletten Buchseiten umbricht.)
- Selbst erarbeitete Terminologie
Am Bildschirm können Nebenergebnisse der Arbeit schon gleich beim
Schreiben mit einem Sonderzeichen versehen und später per
Programm als Register erfaßt oder in ein Glossar übertragen
und dort gespeichert werden. Sie sind jederzeit wieder für
die eigene Arbeit und für andere Kollegen verfügbar.
- Arbeitsnotizen
Die Arbeit am Bildschirm erlaubt, unbegrenzte Notizen mitzuführen.
Alle Informationen auf dem Bildschirm, die nicht im Druck
erscheinen, aber dennoch aufbewahrt werden sollen, werden von
zwei "Notizzeichen" eingeklammert. Der Typenraddrucker übergeht
den Inhalt der Klammer. Auf diese Weise können z.B. Übersetzungsvarianten aufbewahrt werden. Ein Programm überträgt sie mit
den Bemerkungen des Übersetzers in eine eigene Datei und
numeriert sie. Diese Referenznummer erscheint dann auch an
der entsprechenden Stelle im Text.
- Konkordanz- und Stilprobleme
Eine schnelle Suchroutine zeigt dem Übersetzer die bisherigen
Vorkommen eines bestimmten Ausdrucks mit ihrem Kontext. Er
kann bestimmen, diesen Ausdruck nachträglich gegen einen
anderen auszutauschen. Da nach jeder Änderung der Text wieder
neu geordnet erscheint, ist es ferner möglich, die Auswirkungen
verschiedener Satzumstellungen im Kontext zu verfolgen.
4. Die Möglichkeit der Anwenderprogrammierung
Das Textverarbeitungsgerät gestattet dem Anwender, alle
Funktionen, die es selber ausführen kann und die durch
Tastendruck abgerufen werden, selbst zu eigenen Algorithmen
zu verketten. Zu den wichtigsten Funktionen des
Microcomputers gehören: schnelles Suchen, Einfügen,
Austauschen, Löschen;
Kopieren und Umstellen innerhalb eines Textes, aber auch von
einer Datei zur anderen; Mischen von zwei Dateien auf dem
Drucker, Einrichten von Dialogzeilen und Fehlerkommentaren
für die Bedienerführung durch längere Programme. So können
die oben aufgezählten typischen, immer wiederkehrenden
Arbeitsabläufe am Bildschirm fest programmiert und den
Übersetzern bereitgestellt werden, die sie nur über
einen einfachen Aufruf zu starten brauchen.
Diskussion
Der Microcomputer wird von den Kollegen zunächst häufig
als komfortablere Schreibmaschine benutzt. Die Eingabe von
Texten in den Microcomputer ist schneller als das Schreiben
an der Schreibmaschine. Die eigentlichen Vorteile liegen in
der Suchfunktion (Durchsuchen des bereits gespeicherten
Übersetzungstextes) und in der über Typenraddrucker
jederzeit erstellbaren Reinschrift.
Wünschbar wäre, daß jeweils auch die Quelle, das zu
übersetzende Buch, in maschinenlesbarer Form vorliegt. Das
Übersetzerkollegium ist deshalb auf der Suche nach einem
geeigneten Omnifont-Leser.
Von Vorteil wäre außerdem die Anschlußmöglichkeit an
einen zentralen Großrechner zur Beschleunigung langsamer
Microcomputer-Funktionen durch Auslagerung auf den Großrechner.
(Die Kurzfassung des Referates wurde von den Referenten zur Verfügung gestellt.)
Zur