Abbildung 1:
(1)
Das methodische Gesamtkonzept sieht zunächst eine ausführliche literarische
Analyse des gegebenen Textes vor und will dann - auf der Basis der gewonnenen
Erkenntnisse - auch Rückschlüsse auf außerliterarische Fragen
ziehen (vgl. zur Textpragmatik). Bevor eine wissenschaftliche Deskription und
Interpretation durchgeführt werden kann, müssen vorbereitende Analysen
durchgeführt werden, hier unter dem Terminus "Konstituierung des Textes"
zusammengefaßt: Textkritische Fragen sind zu klären (Editionsphilologie), eine
wissenschaftlich begründete Arbeitsübersetzung ist zu erstellen, der Text ist nach
"Äußerungseinheiten" zu gliedern
(2),
bei biblischen Texten ist ebenfalls die Frage der Literarkritik häufig sehr wichtig,
also die Frage nach sekundären Überarbeitungen einer vorgegebenen Textfassung,
damit auch die Frage an den Interpreten, ob er die Endversion oder die
Ursprungsversion des Textes analysieren will.
Ist die zur Interpretation
ausgewählte Textschicht in der beschriebenen Weise vorbereitet, so ist - analog
der Zeichendefinition - die Interpretation streng nach zwei Aspekten zu trennen:
Die zweite Unterabteilung: Textlinguistik entledigt sich auch der
zweiten Restriktion der Semantik. Es wird der gegebene Wortsinn in vielfältiger
Weise kritisch analysiert, was in aller Regel zur Folge hat, daß das, was der
Text meint, neu zu formulieren ist. Die Differenz von Wortsinn und gemeintem
Sinn, der man auf diese Weise ansichtig wird, kann in bezug auf
stilistische Effekte ausgewertet werden.
Die dritte Abteilung, die Textpragmatik, ist auf der Basis der
geschehenen literarischen Beschreibung nun in der Lage, das zu rekonstruieren,
was der Text nicht formuliert, was er aber offenbar impliziert. Es werden nun
also die Leerstellen des Textes ausfindig gemacht. Eine weitere Stufe besteht
darin, daß das beschrieben wird, was für Autor wie für Textempfänger
problemlos zu sein scheint, also die Präsuppositionen. Bis hierher ist die
Analyse literarisch orientiert gewesen, die
Textstruktur wurde sehr sorgfältig erhoben. Ab jetzt geht die Untersuchung
in den außerliterarischen Bereich hinein und versucht, Rückschlüsse auf die
Intention des Autors wie auf die zu vermutenden Effekte beim Textempfänger
anzustellen.
Abbildung 2:
Die ganze Interpretation, d.h. die Anwendung der vielfältigen Begriffe, hat
sich nach diesen Ebenen zu richten. Die Ebenenbestimmung ist vorrangig vor der
Einzelanwendung von Begriffen und der damit verbundenen Adressierung von Partien
der zugrundeliegenden materialen Textbasis. Der Interpret muß sich also fragen:
Die - hermeneutisch durchaus erwünschten
- Grenzen dieser Synthese liegen darin, daß nun auch in qualitativer
Hinsicht so viele Daten bereitliegen, daß ein Interpret Mühe haben wird, daraus
ein kommunikativ schlüssiges Gesamtbild des Textes und damit der Intentionen des
Autors zu verfassen. Es zeichnet sich damit die Möglichkeit ab, daß verschiedene
Forscher sich relativ leicht tun werden, bei den einzelnen Textanalysen zu
gleichen Befunden zu kommen, daß sie aber dann divergieren, wenn es darum geht,
aus der Fülle der Befunde ein kommunikatives Gesamtbild des Textes zu
formulieren. Ein simples Beispiel besteht darin, daß der eine Forscher den Text
letztlich in seinem Wortsinn akzeptiert, der andere aber meint, dieser Wortsinn,
über den er mit dem Kollegen noch einig ist, sei insgesamt ironisch zu
verstehen, also gegenteilig. Grammatisch faßbare Indizien für Ironie gibt es
normalerweise nicht. Vielleicht meint aber der zweite Forscher aufgrund seines
kommunikativen Wissens, er könne die gebotene Inhaltskonstruktion mit Recht im
ironischen Sinn interpretieren.
Die erste Untergliederung: Textgrammatik verbleibt noch
beim Wortsinn, untersucht nun aber Indikatoren, die kontextbildend
sind (vgl. Pronominalisierung, Konjunktionen, Modalsätze, die auf weitere Sätze
mit nicht-modalem Inhalt hingeordnet sind, usw.).
3. Inhaltsinterpretation
Für das Datenbankprogramm stellen sich vorbereitend drei verschiedene Aufgaben:
4. Analyseebenen
Die Textsegmentierungen, die aufgrund zuvor gewählter
Betrachtungsperspektiven am Text vorgenommen werden, bauen in folgender
Weise streng aufeinander auf: "Semem" (= Sm,
= Einzelbedeutung), "Semem-Gruppe", "Äußerungseinheit"
(= ÄE) steht für die Semantik.
Die folgenden Ebenen spezifizieren den
Gesamtbereich der Pragmatik: Textgrammatik, Textlinguistik, Textpragmatik. "E"
steht dabei je für eine "kommunikative Einheit". Sie kann nach
den gleichen Merkmalen befragt werden, die für einen "Satz" (= phrastische ÄE) gelten.
5. Die Arbeit mit dem Datenbankprogramm
Die Fülle der bis jetzt vorgestellten Analyseebenen und der in diesem Protokoll nicht darstellbaren Analysekategorien dürfte
zur Genüge deutlich gemacht haben, daß die Arbeit damit eine interne Affinität
zum Modell "Datenbank" hat. Die von der
Datenbank verwalteten Textsegmente sind von sehr unterschiedlicher Größe. So
kann es geschehen, daß ein einzelner Buchstabe mit einer sehr ausführlichen
Analyse verbunden wird. Solche Zuordnungen lassen sich in einer sequentiellen
Datei nicht mehr sinnvoll durchführen. Die Datenbank erlaubt
damit auch, Textsegmente ganz unterschiedlicher Dimension zu beschreiben. Ein
weiterer Aspekt:
Das vorgestellte Interpretationssystem ist zwar sehr
transparent konstruiert, ist zugleich aber in sich doch so komplex, daß selbst
"kompetente" Benutzer dankbar für eine vorgegebene Benutzerführung sind, die sie
davon entlastet, bei jedem einzelnen Datensatz mit höchster Aufmerksamkeit und
danebengelegtem Handbuch mit Schaubildern die Eingaben zu tätigen.
Das Datenbankprogramm JOSEF ist von dieser Kontroverse nicht mehr betroffen.
Sein Dienst besteht darin, die einzelnen Analysen abzuspeichern, sie bei den
entsprechenden Abfragen wieder zur Verfügung zu stellen. Der Ort der
Gesamtinterpretation spielt sich im Kopf des Interpreten ab, nicht im
Datenprogramm selber.
Das Datenbankprogramm nimmt den Terminus "Analyse" ernst: Je nach
Analyseebene wird der Text in kleinere oder größere Teile aufgelöst und dann mit einem metasprachlichen Terminus versehen.
In diesem Stadium ist also der Text verwandelt in ein großes Konglomerat
von grammatischen Analysen. Es kann - bezogen auf den untersuchten Text - dessen
grammatische Struktur auf den Ebenen von Semantik und Pragmatik höchst
differenziert wieder abgerufen werden.
Mit diesem Reservoir ist es möglich, die interne
Schlüssigkeit der abgespeicherten Analysen nochmals zu überprüfen. Der Zwang, sich bei der Analyse bewußt zu machen,
auf welcher Ebene die Analyse zu geschehen
hat, verhindert, daß man dabei unbedacht Opfer einer Ebenenverwechslung wird.
Wenn nun für die Bedeutungsanalyse Grammatikabspeicherungen bis zur Ebene des
gesamten, geschlossenen Textes vorliegen, dann ist auch die Möglichkeit gegeben,
kombinierte Abfragebedingungen zu formulieren, die Befunde mehrerer Ebenen
miteinander verbinden, und nach Datensätzen zu fragen, die beiden (oder mehreren) Bedingungen Genüge leisten.
br>Die Auswertung der abgespeicherten Analysen im Datenbankprogramm JOSEF führt
auf sehr differenzierte
Modelle für Sprechverhalten. Sobald sie mit empirischer Fundierung
extrapoliert sind, sind ganz wesentliche weitere pragmatische Erkenntnisse
gewonnen. Sie lassen besser verstehen und typisieren, was in kommunikativen
Handlungen an Strategien üblicherweise eingesetzt wird. Es gibt sich damit dann
auch ein neues Kriterium für kreativen Sprachgebrauch, der dann vorliegt, wenn
auf solche breit belegten sprachlichen Handlungsmodelle weitgehend verzichtet
wird.
An dieser Stelle liegt die Schnittstelle zwischen differenzierter
textwissenschaftlicher Beschreibung und dem Bereich der "Kognitiven Psychologie"
bzw. "Künstlichen Intelligenz". Der Übergang vom einen Bereich in den anderen
läßt sich so organisch gestalten. Es liegen keine Welten mehr dazwischen.
Dem interdisziplinären Gespräch ist also eine textwissenschaftliche Methodik im
skizzierten Sinn sehr förderlich.
Nach der "Analyse" kann nun die Synthese folgen. Die Verwandlung des
Textes in ein Grammatikreservoir ist lediglich als willkommenes Zwischenstadium
anzusehen. Der eigentliche Zweck, zu dem das Programm und zuvor schon die
Methodik entwickelt worden waren, liegt in der Beschreibung des gesamten Textes,
die nun im Sinne eines differenzierten Gesamtbildes möglich ist.
Anmerkungen
1. Das Zitat (zu "Textpragmatik" (am Ende der Abbildung 1) ist die Wiedergabe der sog. "Lasswell-Formel";
vgl.H. Schweizer: Metaphorische Grammatik. Wege zur
Integration von Grammatik und Textinterpretation in der
Exegese. ATS 15. St. Ottilien 1981. S. 211. zurück
2. Vgl. H. Schweizer: Biblische Texte verstehen. Arbeitsbuch zur Hermeneutik und Methodik der Bibelinterpretation. Stuttgart 1986, S. 37-39. zurück
aus: Protokoll des 51. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 9. Februar 1991