Aus dem Protokoll des 54. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 8. Februar 1992

 

Ulrich Bachmann, Kirsten Nemitz (Hannover); Winfried Bader (Tübingen)

Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung.
Projektkonfiguration und EDV-Einsatz für die nach Artikeln gegliederte Edition.

Vorbemerkung

Das Grundgesetz wurde vor zwei Jahren 40 Jahre alt. Zunächst als Provisorium konzipiert, hat es in diesen Jahren seines Bestehens längst den Rang einer "wirklichen Verfassung" und eine große Akzeptanz in allen Schichten der Bevölkerung erlangt.

Nur etwas über ein Jahr nach dem 40. Jahrestag trat die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Dadurch ergaben sich völlig neue Probleme und Herausforderungen, die weitreichende Änderungen, wenn nicht gar eine Totalrevision des Grundgesetzes notwendig machen. Der Einigungsvertrag hat erste Änderungen bereits selbst vorgenommen. Inzwischen gibt es eine öffentlich geführte "Verfassungsdebatte" mit Vorschlägen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Initiativen. Bundestag und Bundesrat haben eine gemeinsame Kommission eingesetzt, deren Aufgabe es ist, über Verfassungsänderungen und -ergänzungen zu beraten, die mit dem Beitritt der DDR sowie mit der Verwirklichung der Europäischen Union erforderlich werden. Doch gibt es keine Zweifel daran, daß das Grundgesetz die Grundlage aller weiteren Verfassungsentwicklungen bleiben wird.

Das Forschungsprojekt "Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung"

Als die Forschungsstelle für Zeitgeschichte des Verfassungsrechts am Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover unter Leitung von Prof. Hans-Peter Schneider im Jahre 1986 mit ihren Arbeiten an dem Forschungsvorhaben über die Entstehung der einzelnen Grundgesetzartikel begann, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Genese sämtlicher Grundgesetzartikel durch eine chronologisch geordnete Publikation der gesamten bisher weitgehend noch unveröffentlichten und schwer zugänglichen amtlichen Materialien zu dokumentieren, so daß der Entstehungsprozeß jeder einzelnen Grundgesetznorm und damit die Gründe und Motive ihrer Formulierung leicht nachvollzogen werden können. Der Leser soll das Werk wie einen juristischen Kommentar benutzen können, wenn er etwa genetische Argumente für die Auslegung einer Norm aufspüren will. Denn eine Verfassung ist wie jeder andere Text, aber doch weit mehr als etwa der eines einfachen Gesetzes, das viel konkreter formuliert ist, auslegungsbedürftig. Zwar streiten sich die Juristen über die Maßstäbe und Methoden für die Verfassungs- und Gesetzesinterpretation. Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte wird dabei durchaus unterschiedlich beurteilt und darf sicherlich nicht überschätzt werden. Doch liefert die Entstehungsgeschichte so oder so Argumente für die Auslegung einer Norm. Da die große Masse der Materialien aber verstreut in Archiven liegt und der staatsrechtlichen, insbesondere der gerichtlichen Alltagsarbeit nicht zur Verfügung steht, wurde und wird über den "Willen der Väter und Mütter des Grundgesetzes" viel spekuliert und dieser spekulative Wille für die Interpretation in Anspruch genommen, ohne daß die Betroffenen oder eine kritische Öffentlichkeit in der Lage sind, dies ernsthaft nachzuprüfen. Das wird sich ändern, wenn das auf ca. 18 Bände angelegte Dokumentationswerk diese Lücke geschlossen haben wird.

Natürlich ist diese Dokumentation nicht nur für Juristen von Interesse, sondern gleichermaßen für Historiker, Politologen, Soziologen usw. Aber ihr spezifischer Reiz liegt in der artikelbezogenen Aufbereitung, und die ist es, die besonders den Staatsrechtler interessiert, der mit einzelnen Normen arbeitet und für ihre Auslegung Interpretationshilfen benötigt. Es geht bei dem Forschungsvorhaben also weniger um die zeitgeschichtliche Forschung als solche, sondern um die Genese einzelner Grundgesetzbestimmungen und die Motive ihrer Entstehung.

Ausgangslage 1948/49

Das Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 - auf den Tag genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und dem Ende des zweiten Weltkrieges - vom Parlamentarischen Rat beschlossen und konnte, nachdem es von den Landtagen der Länder der drei Westzonen ratifiziert wurde, am 23. Mai 1949 in Kraft treten. Der Parlamentarische Rat war knapp neun Monate zuvor, am 1. September 1948, in Bonn zusammengetreten, nachdem die Militärgouverneure der drei Westzonen mit den sog. Frankfurter Dokumenten die deutschen Ministerpräsidenten aufgefordert hatten, eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, deren Aufgabe es sein sollte, eine demokratische Verfassung mit einer Regierungsform des föderalistischen Typs und einer angemessenen Zentralinstanz auszuarbeiten, die auch Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält. Auf deutscher Seite lösten diese Frankfurter Dokumente heftige Diskussionen aus. Immerhin stand die Einheit Deutschlands auf dem Spiel. Denn eine westdeutsche Staatsgründung schwor die Gefahr einer endgültigen deutschen Spaltung herauf. Andererseits war die Aussicht auf mehr Selbstbestimmung verlockender als ein Fortbestand der Ohnmacht unter der zonalen Besatzungsherrschaft. Die Militärgouverneure stellten - nachdem die deutschen Länderchefs auf drei Konferenzen verschiedene Einschränkungen beschlossen hatten, die allesamt Ausdruck des Wunsches waren, nur ein Provisorium zu schaffen und eine Rückkehr zur deutschen Einheit nicht zu verbauen - alsbald klar, daß die Frankfurter Dokumente nicht als Empfehlung, sondern als verpflichtende Handlungsanweisung zu betrachten seien, so daß der deutschen Seite Spielräume nicht mehr zur Verfügung standen. Immerhin konnten die Ministerpräsidenten durchsetzen, daß statt einer Verfassung nur ein "Grundgesetz" erarbeitet werde, das nicht durch Volksentscheid, sondern durch die Landtage zu ratifizieren sei. Dennoch war damit die Entscheidung für eine westdeutsche Staatslösung gefallen.

Herrenchiemsee-Konvent und Parlamentarischer Rat - Materiallage

Unser Dokumentationswerk beginnt mit jenen bereits erwähnten "Frankfurter Dokumenten" vom 1. Juli 1948 und endet mit der Veröffentlichung des Grundgesetzes im Bundesgesetzblatt vom 23. Mai 1949. Den Schwerpunkt bilden dabei naturgemäß die Beratungen des Parlamentarischen Rates. Die Ministerpräsidenten waren allerdings seinerzeit übereingekommen, vor Aufnahme der eigentlichen Verfassungsberatungen einen Sachverständigen-Ausschuß zu errichten, der die Aufgabe haben sollte, die Arbeiten des Parlamentarischen Rates vorzubereiten. Dieser sog. Verfassungskonvent tagte vom 10.-23. August 1948 auf der Herreninsel des Chiemsees und wird deshalb Herrenchiemsee-Konvent genannt. Hier wurde ein vollständiger Verfassungsentwurf erarbeitet, der für den Parlamentarischen Rat eine außerordentlich wichtige Beratungsgrundlage darstellte. Der Konvent tagte im Plenum und in drei Unterausschüssen; seine Beratungen wurden fast vollständig protokolliert, und zwar überwiegend in einer Mischform aus Steno- und Kurzprotokoll.

Die 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates (plus fünf nicht stimmberechtigte Berliner Abgeordnete) bildeten einen sog. Hauptausschuß, insgesamt sieben Fachausschüsse sowie zwei weitere interfraktionelle Gremien. Nur von letzteren wurden keine Wortprotokolle erstellt. Ansonsten liegen von fast allen Ausschuß- und Plenumsberatungen sowohl Steno- als auch Kurzprotokolle vor. Davon sind nach Abschluß der Verfassungsarbeiten nur wenige im Auftrag der sog. Abwicklungsstelle des Parlamentarischen Rates gedruckt worden. Der überwiegende Teil der Dokumente wird als maschinenschriftliche Materialien in Archiven, vor allem im Koblenzer Bundesarchiv, verwahrt. Neben Protokollen handelt es sich im wesentlichen um Fassungsvorschläge, Beschlußvorlagen, Anträge von Parteien oder Abgeordneten, Gutachten, Berichte, z.T. auch Schriftverkehr und verschiedene Materialien zur Unterrichtung der Abgeordneten.

Anforderungsprofil an die EDV

Für die EDV-technische Verwirklichung des Forschungsvorhabens galt es nun, Möglichkeiten zu finden, Teile von Ursprungstexten einem Ziel, nämlich der Artikeldokumentation, so zuzuordnen, daß dort alle einschlägigen Textstellen in chronologischer Reihenfolge und mit bestimmten weiteren Angaben versehen vorgefunden werden können. Die jeweils erste aus einem Dokument zu einem "Ziel-Artikel" verschobene Textstelle sollte eine Kopfinformation mitschleppen, die unter anderem Angaben über Titel, ggf. Verfasser, Datum, Uhrzeit und Seitenzahl enthält und Raum für weitere Informationen, etwa Fundstellenhinweise, bietet. Ein in der Pilotphase zu diesem Forschungsprojekt - die 1986/87 als Vorlauf für die Beantragung von Förderungsmitteln bei der Volkswagenstiftung der Hauptphase des Forschungsvorhabens vorgeschaltet worden war - erarbeiteter Musterartikel war noch mit Schere und Klebstoff zusammengestellt worden, ein Verfahren, das sich nicht unbedingt für die Erstellung des Gesamtwerkes empfahl.

Für die Zuordnung von Textabschnitten boten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: Bei der ersten Möglichkeit werden die vom Bearbeiter ausgewählten Textstellen unmittelbar in die jeweilige Zieldatei kopiert. Hierbei bestehen also alle Zieldateien von Beginn an und werden sukzessive um jedes neu hinzugefügte Textsegment erweitert. Bei der zweiten Möglichkeit werden lediglich eindeutige Kennungen für Textabschnitt-Anfang, -Ende und Bestimmungsort in die Quelldaten eingebracht. Erst zu einem möglichst späten Zeitpunkt, nämlich dann, wenn alle relevanten Textstellen zugeordnet sind, werden die Zieldateien kreiert.

Dieser zweiten Variante war angesichts der Tatsache, daß die überwiegende Anzahl der Dokumente von mehr als einem Referenten bearbeitet wird und einzelne Textstellen nicht selten in mehrere Zieldateien "verschoben" werden, der Vorzug zu geben. Die Vorteile lagen auf der Hand: Da es von jedem Dokument außer den obligaten Sicherheitskopien nur eine einzige (Quell-)Datei und nicht - wie bei der ersten Variante - sofort auch diverse Zieldateien gibt, führt jede von einem Bearbeiter vorgenommene Veränderung dieser Quelldatei zu einer entsprechenden Veränderung der aus ihr erzeugten Zieldateien. Ein Rechtschreibfehler muß also nur ein einziges Mal korrigiert, eine Fußnote nur ein einziges Mal gesetzt werden statt in allen Zieldateien, in die die betreffende Textstelle verschoben wurde. Selbst unmittelbar vor "Manuskriptabschluß" können auf diese Weise Veränderungen, die für eine Vielzahl von Zieldateien wirksam werden sollen, ohne jede Mühe vorgenommen werden; darüber hinaus werden mit dieser Methode inkonsistente Datenbestände verhindert.

Andererseits ist es nicht immer wünschenswert, z.B. eine Fußnote mit Wirkung für alle entsprechenden Zieldateien zu kreieren. Es mußten deshalb auch individuelle Fußnotenkennungen und Regeste möglich sein. Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit des Kleindrucks: Was in der einen Zieldatei als Kontextstelle klein gedruckt werden soll, soll in einer anderen in Normaldruck erscheinen können.

Hinsichtlich der Entwicklung einer Individualsoftware hat die Forschungsstelle diverse Angebote eingeholt, bis sie auf TUSTEP aufmerksam wurde. Sie entschied sich schließlich für TUSTEP, obwohl dies seinerzeit einen Verzicht auf die bis dahin ins Auge gefaßte Netzwerkkonfiguration auf PC-Basis bedeutete. Die Forschungsstelle schaffte einen MicroVAX II-Rechner der Firma Digital mit zwölf Bildschirmterminals an; außerdem wurde später eine VAXstation 3100 hinzugekauft.

Bearbeitung der Dokumente - Arbeitsablauf im Überblick

Sämtliche zu verarbeitenden Originaldokumente mit einer Ausgangstextmenge von insgesamt ca. 30.000 Schreibmaschinenseiten wurden zunächst als reine ASCII-files außer Haus erfaßt. Da der überwiegende Teil wegen des Zustandes der Vorlagen nicht maschinell einlesbar war, mußte dies weitgehend manuell geschehen. Der Datentransfer erfolgte mittels Disketten. Die rund 1.600 Dateien - jedes Dokument erhielt eine eigene Datei - wurden alsdann konvertiert und vom PC auf die VAX überspielt. Dort wurden die Daten in TUSTEP-Dateien umgewandelt und in jede Datei eine "Kopfzeile" zur Erstellung der standardisierten Überschrift geschrieben.

Sodann wurden die Dateien sorgfältig korrekturgelesen und schon während dieses Arbeitsgangs mit aufwendigen Auszeichnungen versehen, die die Erstellung von Fußnoten erleichtern, Fehler im Ursprungstext sichtbar machen und bereits bestimmte Textkategorien (etwa Fassungsvorschläge, Zwischenüberschriften, Redner usw.) als solche markieren sollten, damit sie für den späteren Druck entsprechend typographisch behandelt werden können.

Sehr umstritten war das Problem der Texttreue und die Frage, wieweit Änderungen und Korrekturen des Vorlagetextes stillschweigend oder ausdrücklich vorgenommen werden sollten. Wir machten uns schließlich die Möglichkeiten der EDV zunutze und markierten alle Schreib- und Sinnfehler der Vorlage mit eindeutigen Auszeichnungen, so daß sie jederzeit durch Austausch nur eines Zeichens als textkritische Fußnoten, Einfügungen und Ausfügungen transparent gemacht werden können. Auf diese Weise gelang es, uns sämtliche Möglichkeiten offenzuhalten und sowohl einen strikt authentischen wie auch einen behutsam veränderten Text zu erzeugen. Dies mag folgendes Beispiel einer "Sinnveränderung" exemplarisch verdeutlichen:

Steht in der Vorlage das Wort "Kapitel", müßte es aber eigentlich "Kapital" heißen, so wurde bei uns wie folgt ausgezeichnet: <kk>Kapital<ko>Kapitel<oo>. Die Bearbeiter(innen) haben dann zwei Möglichkeiten, durch Veränderung der Mittelmarkierung <ko> eine textkritische Fußnote zu kreieren: Ersetzen sie <ko> durch <k*>, so erscheint im späteren Druck im Text das Wort "Kapital" mit einer Buchstabenfußnote mit dem Wortlaut: In der Vorlage: Kapitel. Verändern sie indessen die Mittelmarkierung <ko> zu <*o>, verbleibt die Originalversion "Kapitel" im Text, während die Fußnote lautet: Vermutlich: Kapital. Die erläuternden Zusätze "In der Vorlage:" bzw. "Vermutlich:" werden automatisch ergänzt. Verzichten die Bearbeiter(innen) hingegen ganz auf eine Veränderung der Mittelmarkierung, so erscheint im gedruckten Text als stillschweigende Korrektur das Wort "Kapital" ohne Fußnote. Würde man schließlich einen vorlagetreuen Text erzeugen wollen, so ließe sich auch dies automatisch ohne weiteren Aufwand bewerkstelligen.

Entsprechend verfahren wir bei handschriftlichen Eintragungen, die die Vorlagen in großem Umfang enthalten. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um textliche Änderungen, die seinerzeit von den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates vorgenommen worden waren. Diese handschriftlichen Änderungen und Vermerke sind für uns als authentisch maßgeblich, so daß in der Regel der ursprüngliche Text ignoriert oder lediglich als Fußnote abgedruckt wird. Um dies problemlos zu ermöglichen, wurden bei uns sämtliche handschriftlichen Eintragungen als solche markiert, um es mit dem Austausch nur eines einzigen Zeichens zu ermöglichen, eine Fußnote zu kreieren, in die der ursprüngliche Text aufgenommen wird.

Die wissenschaftliche Bearbeitung am Bildschirm besteht nun zunächst aus der Zuordnung von Textabschnitten zu den einzelnen Artikeln des Grundgesetzes durch Eintragung von Anfangs- und Endekennungen in die Quelldateien, wobei eine Differenzierung nach Kern- und Kontextstellen möglich ist, die später durch Normal- und Kleindruck dargestellt werden. Wir hatten zu Beginn das Grundgesetz in folgende fünf Bereiche - wir nennen sie Sektionen - aufgeteilt: Grundrechte, Bund-Länder, Staatsorganisation, Rechtsprechung und völkerrechtliche Bestimmungen sowie Finanzverfassung und Übergangs- und Schlußvorschriften. Für jeden dieser Bereiche ist ein(e) Jurist(in) zuständig.

Nach der Eintragung der Zuordnungsmarkierungen erfolgt eine Plausibilitätsprüfung u.a. über die Paarigkeit der Kennungen, die jede(r) Bearbeiter(in) von sich aus veranlassen kann und muß. Wenn alle Dokumente auf diese Weise bearbeitet worden sind, können mit Hilfe des "Verschiebeprogramms" die Zieldateien erstellt werden. Hierzu werden zunächst die einzelnen Quelldateien über eine Liste, die in chronologischer Anordnung alle Dateinamen enthält, von der MicroVAX auf die Workstation in eine "Gesamtquelldatei" kopiert. In einem nächsten Schritt durchsucht das "Verschiebeprogramm" diese Gesamtquelldatei nach allen markierten Textabschnitten und erzeugt im Ergebnis eine "Gesamtzieldatei", in der die Segmente nunmehr nach Artikeln sortiert und innerhalb dieser Ordnung in chronologischer Reihenfolge hintereinanderstehen. Das Programm sorgt darüber hinaus dafür, daß die Seitenzahlen der Vorlage sowie bestimmte Kategorien von Überschriften automatisch vor den ausgewählten Textabschnitten eingefügt werden, auch wenn sie nicht eigens mit Zuordnungsmarkierungen versehen worden sind. Außerdem werden bei Sitzungsprotokollen die Namen der Redner in den Fällen ergänzt, in denen ihr Redebeitrag nicht von Anfang an verschoben wurde. Nicht verschobene Textteile werden durch Auslassungspunkte gekennzeichnet. Ebenfalls automatisch werden die jeweiligen Seitenzahlen der Textabschnitte in die Kopfinformation übertragen.

Dieser Vorgang kann natürlich beliebig oft gestartet werden, so daß in regelmäßigen Abständen eine aktualisierte Gesamtzieldatei erstellt werden kann. Der Bearbeiter erhält auf Abruf die jeweils gewünschte Zieldatei eines Grundgesetzartikels im Ausdruck als Satzsimulation, um nunmehr artikelbezogen - nicht mehr dokumentenbezogen - diese Zieldatei, also sein Endprodukt, zu überarbeiten, ggf. weitere Fußnoten und Regeste zu setzen, eine einführende Vorbemerkung zu verfassen, ggf. einen Index zu erstellen usw. Die Vorbemerkungen enthalten jeweils einen kurzen Editionsbericht, einen nach Problemschwerpunkten gegliederten Verlaufsbericht und einen Materialbericht. Hier wird etwa auf jene Materialien hingewiesen, auf deren Abdruck der Bearbeiter verzichtet hat, die er aber doch für erwähnenswert hält. Ein Informationsteil über Parallelbestimmungen früherer deutscher Verfassungen und der Länderverfassungen rundet die Artikeldokumentation ab.

Datenorganisation und -verwaltung

An der Grundbedingung einer längstmöglichen Arbeit an den Quellen orientieren sich selbstverständlich auch Organisation und Verwaltung des gesamten Datenbestandes. Auf dem zentralen Rechner, der MicroVAX II, wurden drei Projekte bzw. Verzeichnisse eingerichtet - [DOC], [DOCKORR] und [DOCWORK] -, denen jeweils unterschiedliche Benutzergruppen zugeordnet sind. Es gibt nur einen zentralen Quelldatenbestand, der während seiner Bearbeitung diese drei Verzeichnisse durchläuft. Das Verzeichnis [DOC] ist im wesentlichen als Übertragungspool zu verstehen. Hier kommen die Dateien an, die vom PC auf die VAX überspielt werden. Im Verzeichnis [DOCKORR] werden sie anschließend von wissenschaftlichen Hilfskräften weiterverarbeitet, korrigiert und mit Auszeichnungen versehen. Ist diese Bearbeitung abgeschlossen, gelangen die Dateien sukzessive in das Verzeichnis [DOCWORK], ihren endgültigen Bestimmungsort. Hier bringen die wissenschaftlichen Mitarbeiter(innen) ihre Verschiebemarkierungen und Fußnoten an. Wird eine Datei gerade von einem Benutzer bearbeitet, ist sie für alle anderen gesperrt.

Auf ihrem Weg in das Verzeichnis [DOCWORK] werden die Dateien also mehreren unterschiedlichen Bearbeitungsschritten unterzogen und verändern sich dadurch fortwährend. Um hier ein größtmögliches Maß an Transparenz zu gewährleisten und den Überblick darüber zu behalten, welche Datei sich gerade in welchem Zustand befindet, wurde ein System entwickelt, wonach die immer gleichbleibenden Dateinamen nach jeder einschlägigen Veränderung der Daten eine neue Extension erhalten, die den jeweiligen Bearbeitungsstand eindeutig beschreibt. So läßt sich beispielsweise an einer bestimmten Extension (Zusatz zum Dateinamen) erkennen, welche Dateien aus dem Verzeichnis [DOCKORR] so weit fertiggestellt sind, daß sie in das Verzeichnis [DOCWORK] übertragen werden können. Darüber hinaus wird jeder vorherige Bearbeitungszustand als Archivversion konserviert. Auch hier kennzeichnet die Extension diesen Zustand in eindeutiger Weise.

Mit Hilfe des Liste-Kommandos und einer "Positiv-" oder "Negativ"-Auswahl der Extensions unter TUSTEP (oder mit dem DIR-Befehl und der Verwendung von Wildcards auf Betriebssystemebene) lassen sich zu jedem Zeitpunkt nach Bedarf Listen über Zustand und "Aufenthaltsort" der Dateien erstellen.

Aufbau einer Datenbank

Wenn eingangs gesagt wurde, daß das Werk nur amtliche Materialien enthalten wird, so muß dies relativiert werden. Abgesehen davon, daß amtliche und nichtamtliche Materialien nicht zuverlässig voneinander abgegrenzt werden können, sind einige "nichtamtliche" Dokumente für das Verständnis der Entstehungsgeschichte einer Norm doch unverzichtbar. Diese Dokumente aufzuspüren ist Aufgabe der Historikerin der Forschungsstelle, die systematisch alle einschlägigen Archive in der Bundesrepublik aufsucht. Zur Verwaltung der von ihr beschafften Dokumente - es handelt sich um Berichte, Protokolle, Briefwechsel, Gutachten, Aktennotizen u. ä. - haben wir unter TUSTEP eine Datenbank geschaffen. In ihr werden die Dokumente in Form eines Kurzregests erfaßt, also nicht etwa im Volltext. Jedes Dokument erhält eine Nummer und wird mit Verfasser, Titel, Datum und Fundstelle - das ist meist die Archivsignatur - registriert. Eine weitere Rubrik kann bei Bedarf nähere Anmerkungen zum Inhalt des Dokumentes, Verweise auf andere Dokumente oder ähnliches aufnehmen. Darüber hinaus wird - und das ist hier entscheidend - jedes Dokument je nach Betreff einzelnen Artikeln des Grundgesetzes bzw. einzelnen Schlagworten zugeordnet. Auf diese Weise ist jede(r) Mitarbeiter(in) mit Hilfe einer Sortier- und Kopierroutine in der Lage, für jeden Artikel gesondert die hierzu vorhandenen Dokumente abzufragen und in Form einer "Regestenliste" ausdrucken zu lassen. Die Ausgabe der Dokumentenregeste erfolgt in chronologischer Reihenfolge. Die Dokumente selbst werden in numerischer Reihenfolge in Aktenordnern verwahrt und sind aufgrund der Dokumentennummer problemlos zugänglich.

Die TUSTEP-Programme

Die EDV-Arbeit für das Projekt wurde vollständig - von der Übernahme der Daten über die Korrektur und Aufbereitung, die Arbeit der Wissenschaftler zur Zuordnung der Dokumententeile zu den Artikeln bis hin zum Erstellen der artikelbezogenen Zieldateien und zur endgültigen Satzausgabe auf einem Satzbelichter - mit TUSTEP durchgeführt. Das Kernstück der Programmierung, die Verteilung der Dokumententeile auf die verschiedenen Zieldateien aufgrund der Verschiebemarkierungen, soll im folgenden erläutert werden.

Der erste Problemkreis betrifft die automatische Übernahme des Dokumentenkopfs und der Seitenzahl in jede artikelbezogene Zieldatei. Außerdem sollen in der Zieldatei Redner, deren Rede nicht von Anfang an übernommen wird, automatisch ergänzt werden. Ebenso müssen Auszeichnungen, die Folgewirkungen haben (z.B. Einrückungen bei Fassungsvorschlägen), berücksichtigt werden. Bei den vielen Sonderfällen, die das erste Hauptprogramm zu verarbeiten hatte, ist der einfachste Weg die "Digitalisierung", d.h. die Informationen, die es zu merken gilt, werden als Zahlen in Variablen abgespeichert. So kann man während des Programmablaufs jeweils auf die gemerkte Information problemlos zugreifen. Die Umsetzung der Seitenzahlen in Zahlen ist einfach: das Programm braucht sie nur einzulesen. Da es nur etwa 10 Auszeichnungen sind, die gemerkt werden müssen, lassen auch sie sich leicht in vereinbarte Zahlen umsetzen und merken. Schwieriger wird es bei den Köpfen und Rednern: es sind zu viele, um eine einfache Konkordanzliste zu erstellen, und außerdem sollen sie problemlos korrigier- und erweiterbar bleiben. Die Umsetzung in Zahlen erfolgt zur Laufzeit des Programms, indem die Köpfe und Redner durchgezählt und in eine separate Datei mit ihrer eindeutigen laufenden Nummer geschrieben werden. Im Hauptprogramm selbst wird nur noch mit diesen Zahlen weitergearbeitet, der dazugehörende Text interessiert nicht mehr. Er wird später über die eindeutige Nummer von der separaten Datei in die Zieldatei mittels EINFUEGE zurückgeholt.

Der zweite Problemkreis betrifft die Zuordnung der Textstellen der Dokumente zu den einzelnen artikelbezogenen Zieldateien. Eine Textstelle wird durch die Bearbeiter jeweils einer oder mehreren - im Extremfall bis zu 200 - Zieldateien zugeordnet. Die "Digitalisierung" erfolgt hier derart, daß auf indizierten Variablen die Artikelnummern gemerkt werden, so daß bei der Abarbeitung des Programms über die Indexnummer jederzeit die Information verfügbar ist, zu welchen Artikeln die aktuelle Textstelle gehört. Kommt ein weiterer Artikel hinzu, wird seine Nummer auf der nächsten freien Indexvariablen gemerkt. Endet die Verschiebung eines Artikels, wird seine Nummer auf der indizierten Variablen gelöscht, und bei allen folgenden wird der Index um 1 erniedrigt. Am Anfang und Ende einer Verschiebestelle werden zusammen mit der Artikelnummer auch die Werte der anderen Variablen für Kopf, Redner, Seitenzahl, Auszeichnung ausgegeben, so daß auf diese Information bei der weiteren Verarbeitung zugegriffen werden kann. Der Text selbst wird mehrfach in die Zieldatei geschrieben, entsprechend der Anzahl der auf den indizierten Variablen gemerkten Artikelnummern. Der ausgegebene Text wird jeweils vorne mit der Artikelnummer gekennzeichnet, für den diese Textstelle gilt. Ein Ausschnitt aus dieser Datei ist in Abbildung 1 wiedergegeben.

So vervielfältigt braucht diese Datei nur nach Artikelnummern sortiert zu werden. Der Text zu jeweils einer Artikel-Zieldatei wird dadurch zusammengeführt.

Bei der weiteren Verarbeitung werden am Anfang und Ende einer Verschiebestelle die zusätzlichen Variablen ausgewertet und so festgestellt, ob ein Kopf, ein Redner, eine bestimmte Auszeichnung, Auslassungspunkte etc. erzeugt werden müssen, und welches die Seiten sind, von denen zitiert wird, so daß die Seitenzahlen entsprechend in die Überschrift eingesetzt werden. Für Kopf und Redner werden entsprechende Kürzel eingesetzt, so daß über EINFUEGE der Text geholt werden kann.

Weitere Programmschritte setzen die inhaltlichen Auszeichnungen und Informationen in konkrete Satzsteuerzeichen um und bringen die Zieldateien ohne weitere Handarbeit zum fertigen Satz.

Abbildung 1: Erste Zwischendatei mit vervielfältigtem Text

62000v 1 0 132 2 1 0 $62#.}
66000v 1 0 132 2 1 0 $66#.}
81000v 1 0 132 2 1 0 $81#.}

62000t   <xz>Der Ausschuß tritt im Zusammenhang mit ...
66000t   <xz>Der Ausschuß tritt im Zusammenhang mit ...
81000t   <xz>Der Ausschuß tritt im Zusammenhang mit ...

62000t   ... die Beratung des Kapitels VII Die Bundesregierung
66000t   ... die Beratung des Kapitels VII Die Bundesregierung
81000t   ... die Beratung des Kapitels VII Die Bundesregierung

66000t <f+>
66000t   Fussnote fuer eine ZD.<f->

62000t   ein.
66000t   ein.
81000t   ein.

62000t <xe>
66000t <xe>
81000t <xe>

66000v 1 0 103 3 1 0 #.{66$
81000v 1 0 103 3 1 0 #.{81$

62000t
62000t <ra>Vors. Dr. Katz (SPD):<re>
62000t   Der Redaktionsausschuß hat den Art. 86 ...
62000v 1 10001 103 4 1 0 #.{62$

63000v 1 10001 103 4 1 0 $63#.}
63000t <ab>
63000t <ha>Art. 87:<he> Die Hauptänderung zu diesem


aus: Protokoll des 54. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 8. Februar 1992