Protokoll des 8. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 22. November 1975

 

Berichte aus laufenden Projekten


 

Gerhard Fichtner (Geschichte der Medizin)

EDV in der Medizingeschichte

Dieses Projekt soll "Die medizinischen Promotionen der Universität Tübingen 1477-1900" erfassen, dokumentieren und auswerten.

Geplant sind:

Dieses Datenmaterial soll die Grundlage bilden für eine wissenschaftsgeschichtliche, sozialgeschichtliche und funktionsgeschichtliche Darstellung der Promotion und darüberhinaus der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und Ausbildung in Tübingen.

Für die Erfassung und Verarbeitung dieses komplexen Materials bietet sich die Zuhilfenahme der EDV in besonderer Weise an. Nicht nur die verschiedenartigsten alphabetischen Indices (samt ihren Verweisungen) können so in sicherer Weise automatisch erstellt werden, sondern auch chronologische Listen und Zeitberechnungen (z.B. Studiendauer, Abstand zwischen Disputation und Promotion usw.) können mühelos erstellt und ihre Durchschnittswerte berechnet werden.

Die Daten werden maschinenlesbar (in OCR-A-Schrift) in Tübingen erfaßt, im Rechenzentrum der Universität Ulm automatisch auf Magnetband eingelesen und im hiesigen Rechenzentrum verarbeitet. Vor der Veröffentlichung im Druck (Einsatz von DIGISET) werden wesentliche Korrekturvorgänge eingespart, was bei dem spröden Datenmaterial besonders erwünscht ist. Schließlich bietet das erfaßte Material den Grundstock einer Datenbank, die jederzeit durch Vergleichsuntersuchungen im gleichen Fach an anderen Universitäten erweitert werden kann. Dies ist zunächst für die Universitäten Basel, Freiburg und Heidelberg intendiert.

Nach Auskunft des Referenten traten bei der bisherigen Verarbeitung des erfaßten Materials keine wesentlichen Schwierigkeiten auf. Die Relevanz des Projektes sei zwar von der EDV unabhängig, die Erreichung des Zieles werde jedoch durch die EDV wesentlich erleichtert.

Diskussion

Es ging zunächst um den wissenschaftlichen Stellenwert des Projekts. Die Frage nach Einbringung der Dissertationen (Bewertung und Inhalt) in die Wissenschaftsgeschichte beanwortete der Referent dahingehend, daß zwar seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine Benotung bekannt sei, daß diese jedoch bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Mischnote gewesen sei; es sei zwar beabsichtigt, Rezensionen mit zu erfassen, am schwierigsten werde es jedoch sein, den Inhalt der Dissertationen in Korrelation zum Wissensstand der Zeit zu setzen (Erfassung wenigstens von Kurzfassungen unumgänglich; Zeit-Geld-Problem).

 

Volker Schäfer (Universitätsarchiv)

EDV-Projekte zur Bestandserschließung im Universitätsarchiv Tübingen

Aufgrund des Dienstleistungscharakters des Universitätsarchivs besteht dessen Hauptaufgabe derzeit nicht darin, selbst Forschung zu treiben, sondern im Interesse eben dieser Forschung möglichst viele Archivbestände möglichst rasch zu erschließen und aufzubereiten. Danach richtet sich auch der Einsatz des Computers. Anzumerken ist, daß das Tübinger Universitätsarchiv eines der wenigen deutschen Archive ist, die zur Bestandserschließung EDV anwenden.

Im traditionellen Verfahren ist die Erschließung von Verwaltungsakten vergangener Zeiten, die heute historische Quellen sind, oft eine äußerst langwierige Prozedur. Jeder sogenannte Einzelfall mit seiner Vielzahl von Merkmalen muß zunächst über eine Titelaufnahme inhaltlich erfaßt werden. Das Endprodukt einer solchen Verzeichnung, die sich je nach Umfang des Bestandes über mehrere Jahre hinziehen kann, ist das maschinenschriftliche Bandrepertorium, das seinerseits wiederum durch Indices aller Art erschlossen zu werden pflegt.

Zur Abkürzung dieses sehr zeitraubenden Verfahrens lag es nahe, sich des Computers zu bedienen. Als erstes EDV-Projekt wurde die Repertorisierung der rund 20.000 Rechtsgutachten der Tübinger Juristenfakultät aus der Zeit zwischen 1602 und 1883 in Angriff genommen. Ziel ist der Ausdruck eines 30- bis 40bändigen Repertoriums, bestehend aus Textbänden, einem Sach-, einem Personen-, einem Autorenindex sowie zwei Ortsindices, von denen der eine nach Postleitzahlen angelegt ist, um regionale Fragestellungen beantworten zu können. Die Datenerhebung, welche die Einzel-Fälle zu etwa 15% erfaßt hat, ruht aber derzeit und kann frühestens nach dem Universitätsjubiläum von 1977 fortgesetzt werden.

Um jedoch für dieses Großprojekt praktische Erfahrungen zu sammeln, wurde mit den forensischen Gutachten der Medizinischen Fakultät ein von seiner Struktur her ähnlich homogener und damit ebenfalls leicht formalisierbarer Bestand ausgewählt, dessen geringerer Umfang (rund 370 Fälle) entsprechend weniger Probleme verursachte. Der Abschluß dieses Projekts FORMED, das in seinen Zielen mit dem Projekt der Juristenkonsilien übereinstimmt, ist für 1976 vorgesehen.

Nachdem die Datenerfassung neuerdings über die OCR-Schrift im Archiv selbst erfolgen kann, erstreckt sich die Anwendung der EDV im Universitätsarchiv derzeit auf fünf Projekte. Neben den erwähnten Vorhaben läuft die Repertorisierung des Bestandes "Kaufverträge" mit rund 1.000 Liegenschaftsübereignungen zwischen 1561 und 1780, ferner die automatische Indexierung des Bestandes "Lagerbuchzeugen" aus dem 15. bis 19. Jahrhundert sowie die Fortsetzung der Tübinger Matrikeledition für den Zeitraum 1818-1829.

Demnach wird auch im Tübinger Universitätsarchiv der Computer nicht zum Aufbau einer historischen Datenbank oder eines Informationssystems, also zum Speichern abfragefähiger Daten für eine automatisierte Archivalienbenutzung eingesetzt, sondern unter Ausnutzung seiner eklatanten Sortierqualitäten für Repertorisierungsarbeiten, und zwar schwerpunktmäßig für die Indexherstellung.

Diskussion

Es ging unter anderem um die Frage, ob die Datenerfassung per OCR-A-Sichtlesebeleg besser über ein erarbeitetes Erhebungsformular mit fixierten Plätzen für die jeweiligen Datenkategorien oder über fortlaufend beschriebene Sichtlesebelege, wobei jeder Datenkategorie ein fest vereinbartes Steuerzeichen zugewiesen ist, geschieht; dabei spielt das Problem der Verknüpfungen und Rückverweisungen eine große Rolle.
 

(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verfügung gestellt.)

 

Wilhelm Ott

Programme zur Erstellung von Indices und Registern

Diese Programme, die Indices und Register verschiedener Art von einfachen alphabetischen Wortformen-Listen über rückläufige Indices, Häufigkeitsindices, Arbeitskonkordanzen (zur anschließenden Bearbeitung durch die Satzprogramme) erstellen, sind eingebettet in ein System von Programmen zur Verarbeitung von Textdaten; alle diese Programme arbeiten mit zwei verschiedenen internen Darstellungsformen von Texten in den Dateien: eine Form für (unformatierte) zusammenhängende Texte und eine From für die in seine Bestandteile (Wörter) zerlegten Texte (formatierte, sortierfähige Speicherung).

Die Zeit reichte nur noch, um einen schematischen Überblick über dieses System von Programmen zu geben (Text-Eingabe, Korrektur, Vergleich verschiedener Textfassungen, Ausgabe über Schnelldrucker oder Setzmaschine, Index- und Register-Herstellung, Konkordanz-Herstellung (KWIC), Häufigkeitsauszählungen).

Die Teilnehmer kamen überein, daß diese Thema auf dem nächsten Kolloquium am 14.2.1976 ausführlich behandelt werden sollte.

 


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tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 19. Juni 2002