Aus dem Protokoll des 86. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 23. November 2002

 

Irmela Bauer-Klöden und Johannes Michael Wischnath (Tübingen):

Die Erschließung des "Binswanger-Archivs" im Universitätsarchiv Tübingen

Das "Binswanger-Archiv" des Universitätsarchivs Tübingen besteht aus den drei Archivbeständen 441 (Sanatorium "Bellevue", Krankenakten), 442 (Sanatorium "Bellevue", Verwaltungsakten) und 443 (Nachlaß Ludwig Binswanger). Sie sind in der Beständesystematik des Universitätsarchivs den Hauptgruppen H ("Körperschaften, Gesellschaften, Vereine") und N ("Nachlässe") zugeordnet. Bei den Patientenakten handelt es sich um eine geschlossene Serie von nahezu 10.000 gleichartigen Einzelfallakten, für die sämtlich strenge Zugangsbeschränkungen zu beachten sind. Sie sind aus rechtlichen Gründen nicht Eigentum der Universität geworden, sondern wurden dieser zur wissenschaftlichen Auswertung als Depositum übergeben. Den Nachlaß Ludwig Binswangers hat die Universität hingegen käuflich erworben.

Wie für andere Bestände des Archivs liegen auch für das "Binswanger-Archiv" archivische Findmittel unterschiedlichen Typs und je nach Beschreibungsebene unterschiedlicher Erschließungstiefe vor. Während Archivführer, Faltblätter oder neuerdings Archivportale im Internet wie "Archive in Baden-Württemberg" sich auf Überblicksinformationen beschränken, bieten "Beständeübersichten" Kurzbeschreibungen zu sämtlichen Beständen eines Archivs und führen zu den bestandsbezogenen "Findmitteln" (Karteien, Findbücher, Repertorien etc.) hin. Diese verzeichnen in systematischer Anordnung die einzelnen Archivalieneinheiten mit Bestellsignatur, Titel und Laufzeit und gegebenenfalls weiteren Detailinformationen. Im Einzelfall kann die Erschließung bis auf die Dokumentenebene weitergeführt werden. Eine solche vertiefte Erschließung liegt auch für Teile des "Binswanger-Archivs" vor.

Die Erschießungsdaten (Titelei, Einleitung etc., Überschriften und Titelaufnahmen) werden im Universitätsarchiv seit Jahren grundsätzlich als strukturierte, anwendungsneutral codierte TUSTEP-Dateien gehalten, welche als Basis für die Erzeugung von Repertorien mit Hilfe archiveigener TUSTEP-Makros dienen. Dabei sind Druck- und Onlineversionen vorgesehen. Konventionelle hand- oder maschinenschriftliche Findmittel werden nach und nach konvertiert.

Besonders die Krankenakten des Sanatoriums "Bellevue", aber auch die Verwaltungsakten und Teile des Nachlasses von Ludwig Binswanger enthalten sensible, personenbezogene Informationen, die aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und darüber hinaus der besonderen vertraglichen Regelungen nur mit besonderer Genehmigung zugänglich gemacht werden dürfen. Derartige Informationen können nicht nur in den Archivalien selbst, sondern bereits in den Findmitteln enthalten sein. Schon die bloße Tatsache, daß eine bestimmte Patientenakte im "Binswanger-Archiv" vorhanden ist, stellt unter Umständen eine zu schützende Information dar. Findmittel, die geschützte Informationen enthalten, legt das Universitätsarchiv nur auf Anfrage und nur solchen Nutzern vor, deren Berechtigung zuvor geprüft wurde. Frei zugänglich sind im Findmittelraum des Archiv hingegen nur solche Findmittel, aus denen zu schützende Informationen entfernt wurden. Während Online-Repertorien in jedem Fall nur frei zugängliche Informationen enthalten, wird die Druckversion nötigenfalls in zwei Fassungen für kontrollierte oder freie Nutzung hergestellt.

Abgesehen von den Informationen, die das Archivfaltblatt und die Beständeübersicht bieten, sind im Universitätsarchiv folgende Findmittel für das "Binswanger-Archiv" vorhanden, für die unterschiedliche Zugangsregelungen gelten:

Die Dateistrukturen und der Programmablauf wurden bereits beim 72. Kolloquium am 7. Februar 1998 am Beispiel der Beständeübersicht des Universitätsarchivs demonstriert. Grundlegende Änderungen waren seither nicht erforderlich. Allerdings wurde die Bildschirmdarstellung der Onlinerepertorien einschließlich der Benutzerführung vollständig überarbeitet und erheblich verbessert und der Leistungsumfang um die automatische Erzeugung von Registern und Konkordanzen erweitert. Dies wurde abschließend anhand der Druck- und die Onlineversion des kürzlich abgeschlossenen Bestandsrepertoriums zu den Beständen 442 und 443 gezeigt.

Die Onlinerepertorien besitzen ein Seiten- und ein Hauptfenster mit Kopffeld, Textfeld und Funktionsleiste. Wie in der Druckversion steht ein ausführliches, vom Programm erzeugtes Inhaltsverzeichnis zur Verfügung, das bei Aufruf über die Funktionsleiste im Hauptfenster gezeigt wird. Durch Anklicken einer Überschrift öffnet sich im Textfeld eine Kurzfassung des gewählten Repertorienkapitels, die lediglich Signaturen, Archivalientitel und Laufzeiten bietet und einen raschen Überblick ermöglicht. Der vollständige Text mit allen Detailinformationen kann durch Anklicken der Signatur geladen werden. Durch erneutes Anklicken ist der Rücksprung in die Kurzfassung möglich. Im Kopffeld erscheinen gleichzeitig in der Art eines lebenden Kolumnentitels die übergeordneten Überschriften, während im Seitenfenster eine "komprimierte", ebenfalls vom Programm generierte Fassung des Inhaltsverzeichnisses geladen wird. Gezeigt werden hier nur die Hauptüberschriften sowie die Überschriften des aktuell geöffneten Repertorienabschnitts.

Inhaltlich unterscheiden sich Druck- und Onlineversion des Repertoriums nur geringfügig. Da die Anordnung der Titelaufnahmen im Repertorium unabhängig von der Signatur erfolgt, wird in der Druckfassung als Referenz für Register und Konkordanzen zusätzlich eine laufende Nummer erzeugt. In der Onlineversion geschieht das zwar ebenfalls, doch wird sie hier nur im Hintergrund für die Verknüpfungen genutzt und erscheint nicht auf dem Bildschirm. In den Registern und Konkordanzen erscheinen an ihrer Stelle die Signaturen, vollständig, wenn es sich um frei zugängliche Archivalieneinheiten handelt, beschränkt auf das Element "Bestandssignatur", wenn Benutzungsbeschränkungen zu beachten sind. Diese Verweise werden durch Programm-Markos erzeugt. Dabei wird geprüft, ob das in den Datensätzen angegebene Jahr des Sperrfristablaufs erreicht wurde. Ist dies nicht der Fall, werden entsprechend markierte Text- und Signaturelemente unterdrückt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß auch bei der Erschließung des "Binswanger-Archivs" das im Universitätsarchiv entwickelte TUSTEP-gestützte Erschließungsmodell zum Einsatz kommt. Es entspricht im Grundsatz der besonders im englischsprachigen Bereich verbreiteten "Encoded Archival Description" (EAD) und im Ergebnis den in Deutschland gängigen Formen der Druck- und Onlinepräsentation von Findbüchern und Repertorien. Wir glauben sogar, dies Ziel dank der von TUSTEP bereitgestellten Werkzeuge mit geringerem Aufwand erreicht zu haben.


aus: Protokoll des 86. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 23. November 2002